Strategische Inkompetenz

Donnerstag, 28. August 2025
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Quelle: Jason Strull auf Unsplash

Lesedauer: 5 Minuten

Man kennt das, bspw. die Kollegin, die jedes Mal aufs Neue betont, dass sie wirklich keine Ahnung von Technik hat, wenn es darum geht, eine PowerPoint-Präsentation zu erstellen oder das neue Projekttool zu bedienen.

Oder den Partner, der zwar bereitwillig hilft, aber beim Wäschewaschen regelmäßig das Lieblingsshirt mit dem Handtuch verwechselt und das trotz mehrfacher Erklärungen und scheinbar bestem Willen.

Und dann wäre da noch der Vorgesetzte, der bei unangenehmen Entscheidungen plötzlich nicht zuständig ist, Details nicht kennt oder sich auf mangelndes Fachwissen beruft. Und all das nur, um der Verantwortung dezent weiterzureichen und diese gerne an die nächstniedrigere Hierarchieebene abzugeben.

Klingt vertraut? Das ist kein Zufall. Hinter solchen Situationen verbirgt sich oft mehr als bloße Unfähigkeit oder Desinteresse. In Wahrheit handelt es sich dabei nicht selten um eine sehr bewusste, wenn auch subtile, Taktik.

In diesem Beitrag möchte ich mit dir teilen, was strategische Inkompetenz ist, wo sie auftritt, warum Menschen sie nutzen und wie man ihr begegnen kann.


Was wie persönliche Schwächen wirkt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen mitunter als Strategie. Strategische Inkompetenz heißt das Spiel. Gespielt wird es überall, im Büro, in Beziehungen, in der Politik.

Dabei geht es nicht um tatsächliche Unfähigkeit, sondern um das gezielte Vortäuschen derselben. Dies geschieht meist, um Verantwortung zu vermeiden, unangenehme Aufgaben abzugeben oder einfach den eigenen Frieden zu wahren.

Zitat
Weaponized incompetence can create an imbalance in the relationship because one partner is over‑functioning and the other under‑functioning.

— Claudia de Llano (Familien- und Paartherapeutin)


Was ist strategische Inkompetenz?

Strategische Inkompetenz beschreibt das absichtliche Vortäuschen von Unfähigkeit oder Ahnungslosigkeit, um sich Aufgaben oder Verantwortung zu entziehen. Dabei handelt es sich um eine soziale Taktik, nicht um tatsächliches Nicht-Können.

Statt Ich will das nicht machen heißt es dann Ich kann das einfach nicht.“ Eine kleine sprachliche Volte, die deutlich weniger Widerstand erzeugt und gleichzeitig die Aufgabe elegant auf jemand anderen überträgt.


Herkunft und Theorie

Der Begriff stammt ursprünglich aus der Soziologie und Organisationspsychologie, insbesondere im Kontext von Geschlechterrollen und Arbeitsteilung.

Bereits in den 1990er Jahren wurde der Begriff unter anderem von Wissenschaftlerinnen wie Arlie Hochschild im Rahmen unbezahlter Fürsorgearbeit diskutiert.

In Unternehmen wird strategische Inkompetenz als informelle Machttechnik gesehen. Eine subtile Form der Einflussnahme, die schwer greifbar ist, aber enorme Wirkung entfalten kann.


Typische Einsatzgebiete

Typische Einsatzgebiete dieser Einflussnahme sind:
  • Arbeitswelt:
    Kollegen, die nie gelernt haben, mit einem bestimmten Programm zu arbeiten, delegieren diese Aufgaben regelmäßig an technikaffine Mitarbeitende.

  • Beziehung & Familie:
    Klassiker wie Ich kann einfach nicht so gut einkaufen. Ich vergesse immer was oder Die Kinder hören eh besser auf dich.

  • Politik & Bürokratie:
    Zuständigkeiten werden mit dem Verweis auf fehlende Kompetenzbereiche abgelehnt. Manchmal nachvollziehbar, oft bequem.


Motivation & Nutzen

Strategische Inkompetenz ist selten bösartig. Oft ist sie ein Selbstschutzmechanismus. Die dahinter liegenden Motive können sein:
  • Vermeidung von Überlastung
  • Ablehnung ungeliebter Aufgaben
  • Bewahrung sozialer Rollenbilder
  • Versteckter Protest gegen unausgewogene Arbeitsteilung
Sie kann kurzfristig effektiv sein. Sie entlastet, schützt und verschafft Zeit. Doch langfristig kann sie Vertrauen und Zusammenarbeit untergraben.


Psychologische und soziale Dynamiken

Besonders spannend wird es bei der Frage, wer sich strategisch inkompetent geben darf und wer nicht?

Oft ist diese Taktik geschlechtsspezifisch. Männer wenden sie tendenziell häufiger in Haushaltskontexten an, Frauen hingegen eher im technischen oder finanzorientierten Bereich. Zumindest laut Stereotyp.

Doch strategische Inkompetenz folgt weniger dem Geschlecht als den Erwartungen, die an bestimmte Rollen gekoppelt sind.

In Hierarchien zeigt sich, je weiter oben jemand sitzt, desto einfacher ist es, sich nicht auszukennen. Man lässt machen und bleibt sauber.


Grenzen und ethische Fragen

Strategische Inkompetenz wird problematisch, wenn sie dauerhaft Lasten ungleich verteilt oder Verantwortung untergräbt. Besonders gilt dies in Teams oder Partnerschaften. Sie kann:
  • Frust und Überforderung bei anderen erzeugen
  • das Klima von Fairness und Vertrauen stören
  • langfristig zu Burnout und Rückzug führen
Die ethische Frage lautet dabei, ist es okay, sich dumm zu stellen, um emotional gesund zu bleiben, auch wenn andere dann mehr tragen müssen?


Strategische Inkompetenz erkennen und mit ihr umgehen

Was tun, wenn man strategische Inkompetenz vermutet?
  • Beobachtung:
    Wiederholt sich das Muster? Tritt es nur bei bestimmten Aufgaben auf?

  • Rückfragen stellen:
    Möchtest du es lernen? oder Sollen wir es gemeinsam machen?

  • Verantwortung zurückspiegeln:
    Ich habe es auch erst lernen müssen. Magst du es versuchen?

  • Grenzen setzen:
    Klar kommunizieren, dass Unfähigkeit keine Dauerlösung ist.
Auch Humor kann helfen. Du bist also wieder allergisch gegen Tabellenkalkulation? Eine solche Antwort entlarvt charmant und öffnet Raum für Gespräche.


Fazit

Strategische Inkompetenz ist ein faszinierendes Phänomen. Menschlich, nachvollziehbar und zugleich hochgradig manipulativ. Sie offenbart viel über soziale Rollen, Arbeitsverteilung und Macht in Beziehungen.

Wer sie erkennt, kann bewusster damit umgehen und vielleicht sogar einen faireren Umgang miteinander etablieren.

Denn nicht können ist okay. Nicht wollen auch. Aber beides zu verwechseln, das sollte man sich (und anderen) nicht zu oft vormachen.


Hast du Erfahrungen mit strategischer Inkompetenz und wie man dieser gut begegnen kann? Dann würde ich mich über eine Nachricht von dir sehr freuen.


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