Der Primacy-Recency-Effekt oder die Macht des Eindrucks

Donnerstag, 24. März 2022
Serie Business S3 • E2
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Lesedauer: 7 Minuten

Die Macht des Eindrucks ist schon beeindruckend und das im wahrsten Sinne des Wortes. Schau dir nur mal das erste Bild dieses Posts an und ich wette, du hast zu jeder der abgebildeten Personen bereits eine Empfindung und Einschätzung, was die Person beruflich machen könnte oder eben auf keinen Fall macht, welche Charakterzüge die Person hat und und und.

Wenn ich dir nun sagen würde, dass die Person links oben ein junger Mann mit Gehbehinderung wäre, der als Pfleger im Altenheim arbeitet, passt das mit deiner Empfindung bzw. Einschätzung überein? Was, wenn ich dir sagen würde, dass die Person oben rechts in Wirklichkeit ein Pastor wäre, die Person unten links Staatssekretär und die Person unten rechts Metzgerin? Passt das noch mit deinen Einschätzungen überein?

Ich wette nein. Da sind wir richtig schön gebiast und dem Confirmation Bias und / oder dem Unconscious Bias zum Opfer gefallen!

Jeden Tag machen wir uns im wahrsten Sinne des Wortes ein Bild von anderen Menschen. Es entsteht ein Eindruck. Sei es nun der erste oder der letzte Eindruck, sicher ist, wir haben eine Empfindung bzw. Einschätzung bzgl. dieser Menschen. Was das nun mit dem Primacy-Effekt und dem Recency-Effekt zu tun hat, wie diese funktionieren, welchen Einfluss diese haben und wie man diese nutzen kann, das möchte ich mit dir in diesem Post ergründen.

Der Primacy-Effekt und der Recency-Effekt sind zwei psychologische Gedächtnisphänomene, deren Kenntnis und vor allem Wahrnehmung der damit einhergehenden Auswirkungen uns in Entscheidungssituationen helfen kann, keine Fehlentscheidungen zu treffen und damit wie erwähnt nicht dem Confirmation Bias und / oder dem Unconscious Bias, also im weitesten Sinne einer Fehlwahrnehmung zum Opfer zu fallen.


Was ist der Primacy-Effekt?

Der Primacy-Effekt, im Deutschen auch Primäreffekt genannt, ist im Volksmund durch den Satz Der erste Eindruck zählt bekannt. Er beschreibt die Merkwürdigkeit, dass in einer Abfolge von Informationen immer deren erster Bestandteil deutlich stärkeren Einfluss auf Wahrnehmung und damit Entscheidungsfindung hat, als die darauf folgenden.

Deshalb wird dieser Effekt auch als Vorrangeffekt bezeichnet und ich finde das amerikanische Sprichwort dazu einfach nur klasse. Das lautet You never get a second chance to make a first impression!


Was ist der Recency-Effect?

Der Recency-Effekt, im Deutschen auch als Rezenzeffekt bezeichnet, steht dazu im Gegensatz und ist im Volksmund auch durch die Redewendung Der letzte Eindruck bleibt bekannt. Er beschreibt nun wieder das umgekehrte Phänomen, nämlich das in einer Abfolge von Informationen der letzte Bestandteil hängen bleibt.

Das klingt ganz deutlich nach einem Widerspruch und auch da lassen wir uns wieder täuschen und das, weil der Primacy-Effekt im Normalfall deutlich stärker ausgeprägt ist. Beide gehen miteinander einher und werden daher in der Psychologie auch als Primacy-Recency-Effekt zusammengefasst. Erstmals experimentell bewiesen und damit beschrieben wurden diese Effekte vom US-amerikanischen Psychologe Abraham S. Luchins in den 1920ern.


Wie funktioniert der Primacy-Recency-Effekt?

Diese Effekte sind ja Gedächtnisphänomene. Insofern verwundert es nicht, dass hier einerseits das Langzeitgedächtnis und andererseits das Kurzzeitgedächtnis eine entscheidende Rolle spielen.

Über ein Experiment mit dir selbst kannst du die Funktionsweise der beiden Effekt leicht selbst feststellen. Lass dir eine Liste mit beispielsweise 20 Tieren, Gegenständen oder anderen Begriffen erstellen. Dann versuche dir diese Begriffe innerhalb von einer Minute einzuprägen. Dann lässt du dich unmittelbar danach auf ein etwa 15 minütiges, sachfremdes Gespräch ein und versuchst anschließend, die Liste bestmöglich niederzuschreiben.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird es dir nicht gelungen sein, die Liste komplett niedergeschrieben zu haben. Was aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit gelungen ist, ist das Niederschreiben des ersten Listenpunktes und ebenso wahrscheinlich ist es, dass dir der letzte Punkt der Liste nicht mehr eingefallen ist.

Anschließend machst du das gleiche Experiment erneut mit einer neuen Liste. Gleiche Listenlänge, gleiche Zeit zum Einprägen aber das Niederschreiben der Liste erfolgt unmittelbar nach dem Einprägen. Vielleicht kommst du immer noch nicht bis zum letzten Listenpunkt. Aber du wirst garantiert mehr Listenpunkte korrekt niedergeschrieben haben und auch die letzten Punkte werden sehr wahrscheinlich noch im Gedächtnis sein. Warum ist das nun so?

Durch die Ablenkung nach dem Einprägen der ersten Liste konntest du nur auf dein Langzeitgedächtnis zurückgreifen. Dort ist der erste Begriff am besten gespeichert, weil du diesen am häufigsten beim Einprägen der Folge wiederholt hast. Auf dein Kurzzeitgedächtnis konntest du hier nun nicht zurückgreifen, weil die Listenpunkt dort bereits durch andere Informationen aus dem Gespräch überschrieben waren.

Im zweiten Versuch ohne Ablenkung waren die Listenpunkte auch im Kurzzeitgedächtnis und so erzielst du ein deutlich besseres Ergebnis. Daraus resultiert, dass der Primacy-Effekt primär mit dem Langzeitgedächtnis in Verbindung steht und der erste Eindruck dort abgelegt wird, während der Recency-Effekt massiv vom Kurzzeitgedächtnis abhängt und eben dort abgelegt wird. Was heißt das nun?


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Welchen Einfluss hat der Primacy-Recency-Effekt auf unsere Wahrnehmung?

Festzuhalten ist, dass je nach äußeren Einflüssen oder Ausprägung der Informationen der eine Effekt den anderen Effekt überlagert. In einem ausgewogenen Verhältnis ist der Recency-Effekt aber immer der stärkere Effekt! Ein gutes Beispiel kann hier ein Vortrag sein. Nach dem Vortrag wird man sich sicherlich an die letzten Worte erinnern. Wenn die Begrüßung gut gemacht war, wird man sich an diese auch noch erinnern. Aber wie sieht es mit dem eigentlichen Vortrag aus?

Wahrnehmungen aus der Mitte einer Informationsfolge bleiben selten hängen, sind wahrscheinlich aber sehr viel wertvoller. Eine Fehlwahrnehmung entsteht und die führt zu schlechten Entscheidungen. Es ist also extrem wichtig, sich dieser Effekte bewusst zu sein, ihren Einfluss entweder wahrzunehmen und aktiv entgegenzutreten oder von Anfang an durch Prozessgestaltung mindestens mal zu minimieren.


Wie kann man den Primacy-Recency-Effekt nutzen?

Der Primacy-Recency-Effekt wird aktiv im Verkauf und im Marketing eingesetzt. Außerdem findest du seine Nutzung auch bei guten Rednern oder Post-Schreibern. Also nicht hier... Achte mal genauer darauf, wie dort das Entscheidende am Anfang und am Ende kommt. Knackige Einleitung und stichhaltiges Fazit. Nicht leicht hinzubekommen aber einen Versuch wert, denn der Erfolg wird es wert sein.

Einen durchaus häufigen Berührungspunkt gibt es bei der Bewerberauswahl für eine Job-Ausschreibung. Beim Kennenlernen von Bewerbern sollte man den Prozess und vor allem die Bewertung tunlichst gleichzeitig für alle Bewerber vornehmen und nicht nacheinander, sonst geht einem der beste Kandidat in der Mitte wahrscheinlich durch, weil man sich vom ersten oder letzten Eindruck hat täuschen bzw. blenden lassen und nicht mehr den Fokus auf individuelle Leistungen gelegt hat. Übrigens auch eine bewährte Grundlage bei der Durchführung der hätesten Assessment-Center in Deutschland...

Und auch bei Jahresgesprächen, also Leistungsbewertungen, ist ein Vorgesetzter gut beraten, kontinuierlich seine Beobachtungen zu notieren und sich nicht nur vom Bauch und damit vom letzten Eindruck beeinflussen zu lassen. Nur weil ein Mitarbeiter jüngst einen kleinen Fehler begangen hat, heißt das nicht zwangsläufig, dass sich sein Leistungsbild im kompletten, betrachteten Zeitraum genauso dargestellt hat.


Fazit

Wie bei allem unbewusst in uns passierenden Vorgängen, können der Primacy- und der Recency-Effekt für deutliche Fehlwahrnehmungen sorgen und sind damit eine gute Erklärung für Biases wie das Confirmation Bias oder das Unconscious Bias. Helfen tut dabei nur Wissen und Bewusstsein und man sollte sich grundsätzlich mal hinterfragen, wenn einem ein Mensch sofort total sympathisch oder unsympathisch ist. Wahrscheinlich ist man unbewusst nur Opfer einer Wahrnehmungsverzerrung geworden.

Um genau solch eine kognitive Verzerrung soll es mit dem Halo-Effekt dann auch in meinem nächsten Post zur Serie Business gehen. Bis dahin aber immer schön vor Augen führen: Der erste Eindruck zählt, der letzte Eindruck bleibt.


Hast du Erfahrung mit dem Primacy-Recency-Effekt gemacht? Kennst du weitere interessante psychologische Effekte? Dann teile sie mir gerne mit und wie immer würde ich mich über dein Feedback zu diesem Post sehr freuen.


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