Selbstzweifel trotz Kompetenz (Teil 2)

Donnerstag, 06. Mai 2021
Serie Business S2 • E3
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Lesedauer: 9 Minuten

Kennt ihr Menschen, die eigentlich sehr gute Arbeit leisten und reichlich Grund hätten, ihre Erfolge zu feiern? Schreiben diese Menschen ihre Erfolge stets eher einem gewissen Timing, äußeren Umständen oder sogar dem puren Glück zu, statt ihre eigene Kompetenz als Grund dafür zu sehen? Wehren diese Menschen jedwedes Kompliment oder Lob ab und merken evtl. gar nicht die hohe Anerkennung, die sie mit ihrer überdurchschnittlich guten Arbeit erfahren? Sind diese Menschen evtl. auch zeitlich deutlich stärker in die Arbeit involviert?

Dann habt ihr es wahrscheinlich mit einem Tiefstapler mit überdurchschnittlich ausgeprägten Selbstzweifeln zu tun! Und anders als ihr jetzt vielleicht vermutete, handelt es sich dabei nicht um eine Krankheit, sondern um ein Charaktereigenschaft bzw. ein Persönlichkeitsmerkmal, das auch unter dem Namen Impostor-Phänomen oder aber auch Hochstapler-Phänomen bekannt ist. Was man als Freund, Bekannter oder Betroffener dagegen tun kann und was Vorgesetzte bedenken und tun könnten, das möchte ich mit euch in diesem zweiten und abschließenden Teil betrachten.

Nachdem wir uns im ersten Teil auch anhand von mir selbst gemachten Erfahrungen angeschaut haben, wieso aus einem Tiefstapler plötzlich ein Hochstapler wird, wie sich ein Mensch überhaupt hin in eine solche Charakterausprägung entwickelt und welche Auswirkungen seine Selbstzweifel haben können, möchte ich auch in diesem abschließenden Teil wieder ein wenig aus meiner eigenen Lebenserfahrung beitragen, um das Thema des Weges heraus aus einer eventuell selbstzerstörerischen Abwärtsspirale etwas besser greifbar für euch zu machen.


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Was kann man gegen Selbstzweifel tun?

Zunächst gibt es nach Aussage von Psychologen in diversen, von mir gelesenen Fachbeiträgen und Interviews einen Faktor, der ausnahmsweise mal positiv wirkt und das ist die Zeit. Ja, die immer wieder zu lesende Aussage ist, Altern hilft oder aber Die Zeit heilt alle Wunden.

Sich jetzt einzig darauf zurückzuziehen, dass sich mit zunehmendem Alter die Selbstreflexion und -einschätzung verbessert, erscheint mir aber gerade bei noch recht jungen Betroffenen zu langfristig gegriffen.

Wie bei vielen nicht mehr bewusst gesteuerten Verhaltensmustern ist natürlich zuallererst die Erkenntnis eines vermeintlich vorliegenden Problems unabdingbar. Diese Erkenntnis kann selbst erzielt werden. Sie kann aber auch und viel einfacher von einfühlsamen, meist besorgten Bekannten, Freunden oder Familienmitgliedern getriggert werden, wenn sie denn wissen, worauf sie achten müssen!

In von mir zur Recherche gelesenen Fachbeiträgen und Interviews war von Fachkräften immer wieder die Rede davon, dass die Betroffenen lernen können, loszulassen und Selbstzweifel in eine Stärke zu verwandeln. Dazu braucht es dann natürlich Wissen über das, was da unterbewusst in einem passiert und warum.

So neigen vom Hochstapler-Phänomen Betroffene dazu, sich stets an Misserfolge zu erinnern, während sie Erfolge in unglaublich effektiver Art und Weise ausblenden. Lob kommt nicht an oder ist bereits nach kurzer Zeit wieder durch vermeintliche Misserfolge überlagert.

So erinnerte ich mich nach Vorträgen zwar nicht mehr an den Applaus und den anschließend erfahrenen guten Zuspruch. Ich erinnerte mich aber sehr gut an die Passagen, in denen es nicht wie geplant lief oder ein peinlicher Typo in einer Folie vorlag. Ich suchte eben noch das Haar in der Suppe, während andere Vortragende bereits bildlich gesprochen bei ihrem Nachtisch waren...

Meinem Umfeld fiel dann anschließend auf, dass ich den Vortrag schlecht machte und zwar in Gänze und aus ihrer Sicht absolut grundlos! Wie bin ich da nun raus gekommen?

Nun, da muss ich wieder ein bisschen ausholen. Ich war beruflich in einer Situation, in der ich ein vom Arbeitgeber getroffenes Investment auf Anordnung meines Chefs übernehmen und endlich in die Erfolgsspur bringen sollte. Ich kannte die Erwartungshaltung, das Ziel. Also stellte ich nach einer Analyse des aktuellen Zustandes einen Maßnahmenkatalog auf und stellte mich den darin selbst gesetzten Teilzielen im Kreise der verantwortlichen Führungsebene und agilen Fachkräften regelmäßig zur Kontrolle.

Nachdem die Maßnahmen nach und nach Erfolg zeigten, nahm ich wahr, dass das Interesse an diesem mal als „wichtigstes IT-Projekt“ bezeichneten Investment verflog und damit auch das Feedback zu meiner Arbeit. Ich zweifelte stark und vergrub mich noch mehr in die Arbeit.

Einige Wochen später sprach ich mit meinem Agile Coach eher nebensächlich über meine Wahrnehmung der Situation und meine Zweifel am eigenen Tun. Wieso kommt denn keiner mehr? Wieso interessiert dieses Investment keinen mehr? Ich bekam eine Augendreher und dann eine für mein Empfinden etwas patzige Antwort mit den Worten Weil es jetzt super gut läuft. Weil du das vor dem Scheitern stehende Projekt zu einem Erfolgsprojekt gemacht hast.

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Ich wiegelte reich an Worten und Beispielen ab und wiederholte meine letzte Frage Wieso interessiert dieses Projekt keinen mehr? Ich bekam eine schon fast wütend geäußerte Gegenfrage mit den Worten Hast du mal einen Moment darüber nachgedacht, dass man dir und deiner guten Arbeit vertraut und sich dann mangels Zeit vielleicht lieber um unsere Probleme als das nun laufende Projekt kümmert? Ich hörte einen leisen Weckton, der dann aber mit den nachfolgenden Worten zu einem schrillen Ton wurde Hast du dein Tun und deinen Einfluss auf den erzielten Erfolg eigentlich schon mal retrospektiv betrachtet? Hast du dir dafür mal die Zeit genommen, statt das Haar in der Suppe zu suchen?

Das war mein ganz persönlicher Trigger, mich mit mir, meiner Wahrnehmung von Erfolg und den möglichen Gründen von Fehlwahrnehmungen zu beschäftigen. Ich las mir Wissen an und vor allem befassste ich mich mit meinen Selbstzweifeln. Rückblickend verordnete ich mir selbst eine Art kognitive Verhaltenstherapie und begann Erfolge bewusster wahrzunehmen und festzuhalten, damit ich immer mal wieder drüber schauen und so hoffentlich mein Selbstbewusstsein stärken könne.

Damit tat ich intuitiv wohl etwas richtig, denn in den anschließend aufgelisteten, von Fachleuten empfohlenen Maßnahmen ist dies auch enthalten.

Die Fachleute empfehlen...
  • das Führen eines Erfolgstagebuchs
  • sich Hilfe zu suchen, indem man eigene Ängste ausspricht und teilt
  • sich den kommenden, eigenen Erfolg vorzustellen
  • die Selbsteinschätzung zu verbessern
Das Führen eines Erfolgstagebuchs fällt dabei genau wie das Schreiben dieses Posts schon in den Bereich der Schreibtherapie und half mir als Over-Doer und ausgeprägtem Impostor-Phänomen ungemein, von einem negativen Selbstbild hin zu einer eher positiv geprägten Sichtweise zu kommen.

Ich challenge nun auch Zweifel und Ängste mit vertrauten Personen meines beruflichen und privaten Umfeldes. Gerade im beruflichen Umfeld sollte hier der Personenkreis absolut vertrauensvoll sein. Vertraut man sich Personen an, die die ihnen über dich nun bekannten Schwächen ausnutzen, ist der Kickback fatal!

Dieses Challengen meiner Zweifel und Ängste hat zu einer deutlichen Kalibrierung der Fähigkeit geführt, meine Gefühle besser von den vorliegenden Fakten unterscheiden zu können und damit auch zu einer besseren oder eher als realistisch zu bezeichnenden Selbsteinschätzung zu kommen.

Klar gelingt es mir nicht immer sofort, Selbstzweifel aus dem Weg zu räumen! Aber ich gehe nun bei entsprechender Wahrnehmung eher Fakten-getrieben vor und beende so die negative Gedankenspirale möglichst früh.


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Was kann man als Vorgesetzter gegen Selbstzweifel eines Mitarbeiters tun?

Als Vorgesetzter muss man hier sehr überlegt und mit Fingerspitzengefühl vorgehen. Lob und materielle Anerkennung führen aus Sicht des betroffenen Mitarbeiters ja nur dazu, dass die Falltiefe im Falle des Erkennens des Hochstaplers weiter steigt und das andere Kollegen ihm gegenüber evtl. sogar noch Neid verspüren.

Das widerstrebt dem Tiefstapler aber zu tiefst und wird – wenn überhaupt – nur kurz positiven Einfluss haben. Eher wahrscheinlich ist in diesem Falle sogar ein äußerst negativer Einfluss in Form einer selbsterfüllenden Prophezeiung (Self-fulfilling prophecy).

Besser ist es als Vorgesetzter, wenn man sich der Charakterausprägung des Mitarbeiters bewusst ist und ihn dabei unterstützt, Gesund zu bleiben. So kann man ihn über neutrales Feedback zur Selbstreflexion bzgl. des eigenen Zutuns zum erzielten Erfolg animieren und so Tropfen für Tropfen die Selbstzweifel aushöhlen und letztlich Raum für Selbstbewusstsein schaffen.

Und solltet ihr als Vorgesetzter wahrnehmen, was für ein Geschenk dieser Mitarbeiter für das Unternehmen eigentlich ist, dann macht ihr diesen Mitarbeiter zur Führungskraft. Zur Führungskraft? Hast du sie noch alle?? Ja, hab ich, denn das Impostor-Phänomen hat durchaus auch positive Seiten. So sind Tiefstapler ganz hervorragende Führungspersönlichkeiten. Warum? Nun, weil sie...
  • kein überzogenes Selbstbewusstsein haben
  • viel toleranter mit Mitarbeitern umgehen als die meisten Führungskräfte, die sich häufig für überlegen halten
  • überdurchschnittlich intrinsisch motiviert sind
  • sehr intensiv reflektieren
  • in der Regel bescheiden sind
  • sich nicht in den Vordergrund drängen
  • vor allem hervorragende Arbeit leisten

Mein Fazit

Meine Selbstzweifel waren rückblickend und sachlich betrachtet absolut unbegründet! Ich brauchte nach Jahrzehnten einen kräftigen, ehrlichen aber liebevollen Arschtritt, um mir dieser Tatsache bewusst zu werden und meine Selbstzweifel etwas, nein ausreichend bei Seite zu drücken. Ob es in der Vergangenheit eine entsprechend positive Wahrnehmung seitens meiner Eltern gab, wage ich bis heute stark zu bezweifeln, um nicht zu sagen auszuschließen.

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Das ist aber sachlich betrachtet auch absolut egal, denn es ist nicht die Aufgabe eines Menschen anderen zu gefallen und ihren Werten und Normen zu entsprechen, sondern lediglich den eigenen, eben individuellen, gesunden Werten und Normen! Auch ist das Leben kein dauerhafter Wettbewerb und das schon gar nicht in der Familie! Etwas, dass ich nun meiner Lütten auf jeden Fall mit auf ihren Lebensweg geben möchte.

Abschließen möchte ich diesen Post mit den Worten des besten Basketballspielers aller Zeiten, Michael „Air“ Jordan: Alle erinnern sich nur an die Würfe, die ich traf. Keiner hat meine, um ein Vielfaches höhere Anzahl an Fehlwürfen vor Augen!

Habt ihr auch eigene Erfahrung mit dem Impostor-Phänomen? Kennt ihr weitere Hilfsmaßnahmen oder Ratschläge? Wie immer würde ich mich über euer Feedback zu diesem Post sehr freuen.


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