Genie und Wahnsinn

Freitag, 11. Dezember 2020
Serie The last dance S1 • E5
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Lesedauer: 7 Minuten

Nachdem ich mich in meinem letzten Post der The last dance-Serie dem wohl unauffälligsten Teammitglied der Chicago Bulls angenommen hatte, möchte ich heute in diesem Post über den G.O.A.T., den wohl besten Basketballspieler aller Zeiten und seine guten wie auch eher kritisch zu betrachtenden Seiten schreiben.

🚨 🚫 Bevor du dies hier liest, möchte ich deutlich darauf hinweisen, dass ich hier über Inhalte der Dokumentation The last dance schreibe. Es besteht also Spoiler-Alarm!

Als Michael Jordan 1984 als Nummer drei Pick zu den Chicago Bulls in die NBA kam, geschah dies schon mit einigen Ausrufezeichen und den damit verbundenen Erwartungen.

Damals ahnte bei den Chicago Bulls aber wohl niemand, dass ihre personifizierte Hoffnung nicht nur sportlichen Erfolg, sondern auch einige Schattenseiten mit in die Windy City bringen würde.

Zuallererst ist da wohl die MJ immer wieder nachgesagte Spielsucht zu nennen. Es ist kein Geheimnis, dass MJ im Training und selbst in Spielen anderen immer wieder mit Wetten das Geld aus den Taschen zog und das mit zum Teil fünf-stelligen Dollar-Beträgen als Wetteinsatz! Die wohl bekannteste, weil direkt öffentlich gemachte Wette war wohl MJs Freiwurf mit geschlossenen Augen, den er nur vier Sekunden vor Spielende gegen die Denver Nuggets warf und traf. Unmittelbar zuvor rief er Dikembe Mutombo noch zu This one's for you baby! Unglaublich...

Aber genau diese Spielsucht könnte auch seinen ersten Rücktritt forciert haben. Gerüchteweise ist MJ 1993 auch nicht in Rente gegangen, sondern wurde von der NBA zum Absitzen einer 18-monatigen Sperre wegen wiederholtem, unerlaubtem Glücksspiels gezwungen. Belege gibt es dafür allerdings nicht und ich nehme MJ absolut ab, dass der gewaltsame Tod seines Vaters der eigentliche Grund war!

Aber MJ war als Teamkollege wohl auch eher schwierig und konterkarierte mit seinem Verhalten und Auftreten jegliche Versuche, mittels Teambuilding eine gute Teamstimmung herbeizuführen.

Ich berichtete ja bereits in meinem Post Same same but different von seiner handgreiflichen Auseinandersetzung mit Steve Kerr. Es gab aber noch einen sehr viel schwereren Zwischenfall mit dem Center Will Perdue, der als Teil des B-Teams gegen das A-Team mit MJ spielte. Dabei wurde ein Spielzug aufgerufen, bei dem Perdue einen Block setzen sollte und das letztlich gegen MJ. Dabei prallte MJ an ihm ab. Das passte MJ nicht und er sagte Wenn du das nochmal machst, wirst du dafür bezahlen!

Johnny Bach, der verantwortliche Trainer hörte dies und rief den gleichen Spielzug direkt abermals auf und MJ ging wieder zu Boden, nur mit noch etwas mehr Schwung. Tja, da stand er auf und ehe Perdue sich versah, hatte er einen Schwinger gefangen...

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Das ist aber „nur“ die Spitze des Eisberges. Das deutlich Sichtbare sozusagen, denn MJ bearbeitete seine Teamkollegen eher verbal und damit psychisch. In der Doku-Serie wird immer wieder mal gezeigt, wie MJ seine Teamkollegen anbrüllte und aufs Übelste beleidigte. So sagt Will Perdue ganz offen Lasst uns das klarstellen: Er war ein Arschloch. Er hat die Linie mehrere Male überschritten.

MJ kontert das sichtlich ergriffen, ja fast schon weinend, indem er sagt Meine Mentalität war, rauszugehen und um jeden Preis zu gewinnen. […] Wenn du nicht diese harte Mentalität mitmachen möchtest, dann brauchst du nicht an meiner Seite zu sein. […] Siegen hat seinen Preis. Und Leadership hat seinen Preis. Ich habe die Leute aufgezogen, wenn sie nicht aufgezogen werden wollten. Ich habe sie gefordert, wenn sie nicht gefordert werden wollten.

Er sagte weiter Wenn du keinen Druck von mir aushältst, wie willst du die Playoffs überstehen? […] Sobald du zum Team dazustößt, musst du einen gewissen Standard leben, wie ich das Spiel gespielt habe und ich habe nichts darunter akzeptiert. […] Wenn das bedeutet, dass ich dir manchmal auf die Nerven gehen muss, dann habe ich das getan.

Alles nachvollziehbar! Aber rechtfertigt der Zweck hier die eingesetzten Mittel? Ich bin da ehrlich gesagt hin- und hergerissen. Einerseits scheint der unglaubliche Erfolg ja Beweis genug zu sein. Andererseits frage ich mich frei nach Simon Sinek aber auch, ob MJ wusste, welches Spiel er spielte? Und ich glaube, er wusste genau, dass er das Finite Game spielen muss und damit eine gute Wahl getroffen hat!

Was mir aus der Seele sprach war MJs abschließende Aussage zu seinen Ansprüchen gegenüber seinen Mitspielern. Wenn Ansprüche von mir an mich und meine Kollegen als zu hoch in Frage gestellt werden, wo bleiben dann die mich antreibenden Herausforderungen? Das fand ich, aufgrund eigener aktueller Erfahrungen mega treffend!

Aber eines ist sicher, wenn man bei MJ einmal verschissen hat, dann wird sich das um nichts in der Welt mehr ändern. Ein Beweis zeigt sich bis heute am Beispiel Isiah Thomas von den Detroit Pistons. Das diese auf brutalste Art und Weise den spielerischen Fähigkeiten entgegentraten, mag körperliche Spuren an MJ hinterlassen haben. Aber dafür hat MJ jede Menge Verständnis und Respekt.

Aber als die Bulls die Pistons 1991 in den Playoffs sweepten, verließen die Startspieler der Pistons auf Isiah Thomas Ansage hin das Spiel noch vor Spielende und das ohne den üblichen Handschlag und die gebotenen Glückwünsche!

MJ hatte hier Respekt statt schlechter Sportsmanship erwartet. Eben ein gutes Beispiel abgeben und diese derbe Respektlosigkeit wirkt bis heute nach. Nicht nur, dass Isiah Thomas nicht ins Dream Team von 1992 berufen wurde, MJ hat rein menschlich für Isiah Thomas keinen Respekt mehr. So sagt er in der Doku-Serie Ihr könnt mir von ihm zeigen, was ihr wollt. Ihr werdet mich nicht davon überzeugen können, dass er kein Arschloch ist!

Aber es gibt auch Positives. So sagte Will Perdue trotz seiner schmerzhaften Erfahrung mit MJ, dass wenn man mit der Zeit mal darüber nachgedacht hat, was er mit seinem Tun eigentlich zu erreichen versucht hat, dann sagt man sich ' Ja, er war ein toller Teamkollege'.

Bezüglich der Auseinandersetzung mit Steve Kerr zeigte sich MJ auch reumütig. Er habe nach dem Trainingsverweis sofort gemerkt, dass er es übertrieben hatte. Er ließ sich die Telefonnummer von Steve Kerr geben und rief ihn am selben Tag noch an, um sich zu entschuldigen. Und Steve Kerr hat von dem Moment an ein Stein im Brett bei MJ! Da war einer, der ihm, wenn auch spielerisch unterlegen, bezüglich des Einsatzes die Stirn bot...

MJ musste auch nicht immer die entscheidenden Punkte machen und zeigte sich dabei als Teamplayer. Das bewies er mit den wichtigen Pässen zu John Paxon und Steve Kerr in zwei unterschiedlichen Finalserien. Gewinnen um jeden Preis und sei es, dass ein anderer den Todesstoß setzt und damit das Rampenlicht...

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MJ hatte aber auch seine „weichen“ Seiten. So beispielsweise nach dem ersten Titelgewinn gegen die LA Lakers. Nach so vielen Jahren des Kampfes gegen die Pistons konnten die Bulls erstmals gegen die Pistons bestehen und so in die NBA Finals vordringen. Dann gewinnen sie auch direkt noch den Titel und das gegen die so erfahrenen LA Lakers um ihren Superstar Ervin „Magic“ Johnson.

Und Magic Johnson ist es, der die weiche Seite Jordans so herzergreifend mit den Worten Er hat sich so gefreut. Wenn ich gegen jemanden verlieren muss, dann gegen Michael. schilderte.

Diese weiche Seite wurde seinen Teamkollegen auch überraschend deutlich gemacht, als der letzte Tanz getanzt war. Head Coach Phil Jackson bat jeden Spieler, zum letzten Mannschaftstreffen der Saison auf einen Zettel zu schreiben, was ihm dieses Team bedeute.

Im letzten Mannschaftstreffen las dann jeder seinen Zettel vor und warf ihn anschließend in eine Kaffeekanne. MJ überraschte dabei nicht nur mit einem Gedicht, sondern auch mit einer unglaublichen Dankbarkeit, einer ungeahnten Empathie jedem einzelnen Teamkollegen gegenüber, sondern auch mit einer nicht für möglich gehaltenen Fähigkeit zur selbstkritischen Reflektion. Letztlich ging dann durch einen kleinen Funken alles in Rauch auf und ist daher nur mündlich überliefert...

MJ ließ also nicht nur immer wieder seinem Wahnsinn freien lauf, sondern zeigte auch seine genialen Seiten und eine seiner größten Fähigkeiten war wahrscheinlich seine innere Stärke. So heißt es in der Doku-Serie Michael ließ niemals Dinge in seinen Kopf kommen, die er nicht kontrollieren konnte. Beneidenswert!

Tja und in meinem nächsten Post zu meiner Last dance-Serie geht es dann noch um seine weitere Stärke, seine Willenskraft. Dazu dann aber im nächsten Post mehr.


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