Emotionaler Ritt

Dienstag, 04. Juni 2019
Serie Kino S1 • E15
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Quelle: https://www.reissausderfilm.de/presse/

Lesedauer: 6 Minuten

Kennt ihr das, wenn man nach nicht mal 10 Minuten des Erlebens eines bis dato unbekannten Menschen ein gewissen Eindruck von dieser Person hat? Und dieser Eindruck sagt euch tief in eurem Inneren, dass man von dieser Personen besser Abstand halten sollte?! Was hat das nun mit diesem Film zu tun?

Nun ja, ich fange wie immer am Besten ganz am Anfang an. Nachdem ich vor gut einem Monat die Reisedokumentation Anderswo – Allein in Afrika von und mit Anselm Nathanael Pahnke gesehen hatte und mein Arbeitskollege und ich total davon begeistert waren, machten wir uns nun gestern abermals und begleitet durch einen weiteren Kollegen auf den Weg in das Zeise-Kino, um die damals beworbene Reisedokumentation Reiss aus – Zwei Menschen – Zwei Jahre – Ein Traum zu schauen.

In dieser Reisedokumentation ist ein Pärchen mit einem Landrover im Westen Afrikas unterwegs. Sie lieben dem Trailer nach das Wellenreiten und scheinen schwere emotionale Hürden nehmen zu müssen.

Der Hauptdarsteller ist als Ingenieur der Medizintechnik nach 3 Jahren in der Forschung und Entwicklung körperlich und seelisch am Ende. Burnout! Die Hauptdarstellerin und er beschließen daraufhin, für sechs Monate von Deutschland nach Südafrika zu fahren. Es ist der Traum seiner Freundin und er weiß meinem empfinden nach gerade nichts besser in seiner Burnout-Situation zu tun. Reiss aus eben...

Der Film startet mit ihren ersten Erlebnissen in Marokko und ich hatte, wie bereits angedeutet, schon nach 10 Minuten von der Hauptdarstellerin so was von die Schnauze voll! Warum, dazu dann später mehr.

Es entwickelt sich ein eigentlich ganz interessanter Film, der vor allem von tollen Naturaufnahmen und, wie im Film Anderswo – Allein in Afrika auch, von den tollen herzlichen offenen und viel lachenden Menschen getragen wird. Wenn da nicht der für mich als ewig störend empfundene Einfluss der Hauptdarstellerin gewesen wäre. Ich war nach 120 Minuten jedenfalls regelrecht froh darüber, dass der Film eine Ende gefunden hatte! Doch warum und was war der Einfluss der Hauptdarstellerin?

Nun ja. Wie ich bereits durchblicken ließ, war mir die Hauptdarstellerin bereits nach 10 Minuten so dermaßen unsympathisch, dass der Film eigentlich keine echte faire Chance mehr bei mir hatte. Und das, obwohl der Hauptdarsteller total sympathisch war und einem einfach nur leid tun konnte!

Interessanter Weise ging es aber meinen beiden Arbeitskollegen, die den Film mit mir verfolgt hatten, genauso. So sagte der Eine Die ist ja so was von naiv!, während der Andere nur meinte Nach dem dritten dummen Spruch hätte ich den Wagen repariert und wäre ohne sie weitergefahren., was heute auch mein Handeln wäre.

Harte Worte, die aber meine Empfindungen durchaus voll ins Schwarze trafen. Nach dem Film kamen die beiden Protagonisten auf die Bühne und sie war so was von dominant und für mein Empfinden so künstlich darauf bedacht, gut anzukommen, dass es mir schon wieder hoch kam!

Mit als erste Frage wurde der eine Traum im Titel des Films in den Vordergrund gestellt. Zwei Menschen – Zwei Jahre – Warum nur ein Traum? Den Eindruck vermittelt der Film nicht. Und sie antwortete schnell und direkt Weil es mein Traum war. Wer sagt denn, dass Ulli einen Traum hatte? Mir stellte sich sogar die Frage, warum er überhaupt mitgefahren war?

Wenn man dann den Film geschaut hat, wie er immer wieder den Karren im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Dreck gezogen hat, während sie sich entweder amüsierte oder blöde, wenig wertschätzende oder gar unterstützende Sprüche brachte, dann kann es einem aus meiner Sicht nur noch hoch kommen.

Ich hätte am liebsten das Mikrofon in die Hand genommen und ihn laut vor allen Gästen und seiner Freundin gefragt Glaubst du den Grund deines Burnouts gefunden zu haben und welcher ist das deiner Meinung nach? Denn auch im Film zeigt er für mein Empfinden immer wieder klare Depressionssymptome. So sagt er in einem Filmkommentar Fünf Monate unterwegs, jeden Tag geht etwas kaputt. Jeden Tag muss ich mich drum kümmern. Das allzu bekannte Gefühl der Erschöpfung schleicht sich zurück. Er merkt das, sieht aber den Grund dafür nicht. Das kann und will ich ihm vor allem nicht vorwerfen! Für mich war im ganzen Film aber klar der Grund ersichtlich und der reiste meinem Empfinden nach in Form seiner Reisebegleiterin mit!

Ich habe da selbst gewisse Erfahrungen in meinem Leben sammeln dürfen. Wenn man selbst mehr der Typ Helfer / Unterstützer ist und anderen Menschen gerne Dinge abnimmt, auch ungern oder eigentlich gar nicht nein sagen kann, sich selbst immer und immer wieder mit den eigenen Bedürfnissen und Träumen hinten anstellt und wenn man dann einen nur auf sich und seinen Vorteil besonnenen skrupellosen Menschen, womöglich einen Narzissten, an seiner Seite hat, dann geht diese Beziehung für einen selbst selten gut aus.

Beim Menschen nennt man ein solches n:n-Verhältnis völlig vereinfacht nur Beziehung. In der Biologie wird das aber sehr deutlich unterschieden! Es gibt in der Biologie grundsätzlich eine Wirt-Gast-Beziehung. Profitieren beide Seiten von der Beziehung nennt man das Symbiose. Erleidet der Wirt jedoch einen Nachteil, nennt man das Parasitismus! Das kann für den menschlichen Wirt in einer menschlichen parasitären Beziehung in Burnout (eigentlich Depression) und im schlimmsten Falle sogar im (Frei-)Tod enden. Dafür muss man aber erst mal Kenntnis über das Vorhandensein eines Parasiten erlangen... Ich hätte ihn so gerne zum Nachdenken angeregt...

Sie betonte auf der Bühne immer wieder, dass sie einen sehr ehrlichen Film gedreht hätten. Das nehme ich ihr zu 100% ab. Man erlebt, wie eine bereits strapazierte Beziehung immer weitere tiefe Risse bekommt und das ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen.

Dennoch bleibt bei mir bzgl. der Ehrlichkeit einiges bitter Aufstoßend über. Das man darüber weint, wenn man seinen Hund an ein Krokodil verliert, kann ich nachvollziehen. Aber hätte man ihn abends allein am Korokodil-verseuchten Fluss streunen lassen sollen? Und warum verweist man mehrfach im Film darauf, dass man ja in die Kernländer ihres Traumes aufgrund einer grassierenden Ebola-Epidemie nicht einreisen könne und geht dabei null auf die tausende Toten ein? Keine Kommentar, keine Träne...

Endgültig zur Comedy wurde ihr Auftritt für mich, als sie erst davon sprach, dass sie ja eine sehr selbstkritische Person sein und sich sehr viel hinterfrage. Mich würden da mal die an sich selbst gestellten Fragen interessieren und die Tatsache, ob es auf die Fragen auch Antworten gibt?! Später haute sie dann in einem vielleicht etwas unüberlegten Moment raus Ich muss mir im Leben ja nie um etwas sorgen machen, meine Mutter würde mich ja immer überall rausholen. Da konnte ich nur noch laut losprusten!

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Zu guter Letzt baut sie dann auch noch eine Sammlung an Postern, Karten und Gegenständen auf, um getreu dem Motto im Film Tauschen um sich auf Augenhöhe zu begegnen den Zuschauern noch den einen oder anderen Euro aus der Tasche zu ziehen. Sie sagte so schön Ich mag keine Hilfsorganisationen. Da weiß man ja nie, wo das Geld hingeht. Komisch, genau das Gefühl hatte ich bei ihr auch...

Unterm Strich ein Film, der natürlich mit tollen Naturaufnahmen zu bestehen weiß. Ein Film, der aber vor allem mal nicht das Heile Welt-Genre bedient. Das an sich empfinde ich als Pluspunkte für den Film, so wie den durch und durch bemitleidenswerten Hauptdarsteller, mit dem zumindest meine Kollegen und ich bis zum Schluss mitgefiebert und -gelitten haben. Der dauerhafte negative Einfluss der Hauptdarstellerin lässt mich diesen Film aber leider kaum weiterempfehlen.
Kommentar der Redaktion:

Ich bin kein Psychologe! Entsprechend schreibe ich hier nur meine durch eigene Erfahrungen im Bereich Burnout / Depression angereicherte Einschätzung und vor allem meine Empfindungen über das Kinoerlebnis nieder. Ich will in keinem Moment Jemanden denunzieren oder als Krank propagieren!


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