Vom Winde verweht

Freitag, 13. März 2020
Serie Luftfahrt S1 • E1
Google Maps Hamburg
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Lesedauer: 10 Minuten

Wer mich gut kennt, der weiß, dass ich vor mehr als 10 Jahren die Ausbildung zum Verkehrspiloten zwar erfolgreich abgeschlossen hatte, der Weg ins Cockpit einer deutschen Airline dann aber letztlich scheiterte.

In meiner Ausbildung hin zum Verkehrspiloten habe ich sowohl im Simulator als auch in echten Flugzeugen unterschiedlichster Größen dutzende von Landeabbrüchen oder – wie man es in der Fliegersprache nennt – Go-Arounds machen müssen.

Selbst in der Prüfungsstufe 2 des DLR-Tests für die Lufthansa Cityline - dem „Vorfliegen“ – musste ich auf Anweisung des Check-Kapitäns im Full-Motion-Simulator eines Bombardier CRJ-900 einen Go-Around fliegen...

Seit dem habe ich immer wieder gehofft, dass ich das auch mal hinten in der Kabine erleben darf und zwar nicht zu Trainingszwecken, sondern aus purer Notwendigkeit. Ich weiß, dass das krank klingt aber Dinge müssen ja nicht in absolut extremen Situationen passieren. So zumindest meine Denke!

Nach einem zwölfeinhalb-stündigen Flug von Ho-Chi-Minh-City nach Frankfurt saß ich gestern nur wenige Stunden später wieder in einem Flieger. Diesmal war es ein Airbus A321 der Lufthansa, der mich das letzte Stück von Frankfurt zurück nach Hamburg und damit nach Hause bringen sollte.

Bevor wir in den Landeanflug gingen ließ uns die Cockpit-Besatzung noch das Wetter in Hamburg wissen. 9°C, Regen und stürmisch. Eigentlich hätte ich in dem Moment schon achtsam werden sollen. Tat ich aber ob der Reisestrapazen nicht!

Erst als wir dann in den Sinkflug gingen und tiefer kamen, da wurde es im Flieger langsam ungemütlich. Er schaukelte hin und her, sank ab und stieg wieder. Der Autopilot meisterte das aber alles wie gefordert.

Dann ging es unter die niedrige Wolkendecke, so dass ich aus meinem Fenster in der 36sten Reihe gut die rechte Tragfläche und den Boden sehen konnte. Mein Gott waren wir am Herumschaukeln! Mit dem Boden als Referenz wirkte das auf mich noch schlimmer, als es sich im Bauch und im Sitz anfühlte...

Aus zahlreichen eigenen Landungen auf dem Hamburger Flughafen war ich nun extrem gespannt, denn ab einer gewissen Höhe abwärts verwirbelt die Luft bei der Piste 23 aufgrund der umliegenden Wälder recht stark. Ich wusste, dass die entscheidenden und spannenden Meter die letzten 10 bis 20 Meter an Höhe sein würden.

Wir kamen in den Höhenbereich und der Pilot Flying – also der gerade das Flugzeug fliegende Pilot – setzte merkbar das Seitenruder ein, um den Flieger für den Touchdown auszurichten. Dann geschah genau das, was auch der Lufthansa-Maschine am 15. Mai 2010 an gleicher Stelle geschehen war und was ihr auf dem ersten Bild dieses Posts sehen könnt. Erst sackte die Maschine plötzlich ab und dann kam noch eine Böe und riss den rechten Flügel hoch.

All das geschah in wenigen Bruchteilen einer Sekunde und ich saß mit dem Kopf am Fenster und sah, wie meine Tragfläche in weniger als zehn Metern Höhe über dem Boden erst extrem in die Höhe ging, um dann im nächsten Moment durch eine Steuereingabe des Cockpitpersonals – ein Gegenlenken – in die Gegenrichtung auszuschwenken.

Ich dachte in dem Moment nur Schei** und sagte laut Go-Around, wie mir die neben mir sitzende Purserette später sagte.

Durch die starken Lenkeingaben schaukelten wir seitliche hin und her und vor der zweiten Gegenreaktion waren zwischen dem unteren Ende des unteren Winglet-Stücks und dem Boden vielleicht gerade mal noch der einfache Abstand der Länge des unteren Winglet-Stücks (~ 1,40m).

Kreischen war im Flieger zu hören und zeitgleich heulten die Triebwerke auf! Die Cockpitbesatzung hatte den Go-Around wahrscheinlich durch Drücken des TO/GA-Buttons oder durch Gabe des vollen, technisch möglichen Schubs eingeleitet.

Wir wurden dadurch mächtig in die Sitze gedrückt. Für mich ein geiles und fast schon unbekanntes Gefühl, wo heutzutage die echte Leistung der Triebwerk aufgrund des Wirtschaftlichkeitsgedanken doch immer auf das Nötigste reduziert ist. Der Flieger stabilisierte sich jedenfalls mit voll anliegendem Schub schnell und gewann erwartungsgemäß ebenso schnell an Höhe. Trotzdem zogen die ersten Passagiere die Spucktüten aus den Vordersitzen und vereinzelt war auch ein Schluchzen oder Weinen zu hören...

Ich saß mit leicht zitternden Händen in meinem Sitz und dachte nur Schei**, das war knapp! Was für ein Adrenalin-Kick war das bitte?! Und was für eine spitzenmäßige Airmanship – also sowohl die Fähigkeit als auch der Wille sicher zu Fliegen – war das bitte vom Cockpit!! Respekt!

post_0890_vom_winde_verweht_2 Auf den abgebildeten Flugdaten ist schön die Extrarunde im östlichen Holding Pattern zu sehen.
Wir flogen in das östliche Holding Pattern und der Kapitän meldete sich. Ja, sehr verehrte Fluggäste. Wie Ihnen sicher nicht entgangen ist, haben wir die Landung wegen starker Böen abgebrochen. Wir sortieren uns jetzt mal und checken noch mal das aktuelle Wetter in Hamburg. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, wir haben genug Sprit an Bord. Ich melde mich in Kürze noch mal.

Das mit dem Sammeln ist mir nun erstmals absolut und ultimativ klar geworden! Meine Fluglehrer haben immer darauf bestanden, dass man die Go-Around-Route vor dem Beginn des Landeanfluges brieft und vor allem wirklich weiß, was in Bezug auf die Route und das Flugzeug-Handling dann zu tun ist! In den von mir am Steuer eines Flugzeuges erlebten Situationen war aber mit Sicherheit nicht die gleiche Menge an Adrenalin ausgeschüttet worden, wie das gestern wahrscheinlich auch bei der Cockpit-Besatzung der Fall war...

Ich habe gestern nur hinten drin gesessen und habe nur zugeschaut, wie alles passierte! Ich habe diesen schwierigen Anflug zum Zeitpunkt der Geschehnisse nicht schon in den Knochen gehabt und ich konnte unmittelbar nach dem Go-Around einfach nur die Situation retrospektiv betrachten, ohne den Flieger dabei noch in der Luft halten zu müssen, den Funkverkehr durchzuführen, den nächsten Anflug vorzubereiten und und und...!

Der Wahnsinn! Da wird einem erst so richtig klar, warum Crews so gezielt in einem der schwersten Assessments der Bundesrepublik ausgesucht werden und warum die Crews so gut trainiert werden. In solch einer Situation muss das einfach ohne großes Nachdenken passieren und funktionieren. Und das tadellos!

Nachdem wir dann eine wunderschöne 270°-Kurve um meine alte Heimatstadt Mölln gedreht hatten, meldete sich der Kapitän abermals mit ganz ruhiger Stimmung und sagte Ja meine sehr verehrten Gäste. Wir werden es jetzt noch mal versuchen. Sollten wir abermals abbrechen müssen, werden wir dann nach Bremen fliegen.

Ruhige Stimme. Ein wichtiges Indiz über die psychische Leistungsfähigkeit der Crew! In der Fliegerei wurde mir beigebracht, nicht wegen der Vergangenheit zu hadern, sondern nüchtern die notwendigen Schlüsse zu ziehen und so gestärkt in die Zukunft zu gehen. Zukunft bedeutete in diesem Falle, abermals einen Anflug in einer alles andere als optimalen Wetterlage zu versuchen!

Vielleicht hattet ihr schon mal eine brenzlige Situation im Straßenverkehr und musstet danach erst mal rechts ran fahren?! Das geht beim Fliegen halt nicht und noch schlimmer, dass Geschehene darf dein weiteres Handeln nicht negativ beeinflussen! Vielleicht wird euch durch diesen Vergleich klar, welch psychische Belastungen Cockpit-Crews täglich bewältigen können müssen?!

Der zweite Anflug war etwas weniger ruppig, hatte es aber immer noch in sich. Wir wurden wieder gut durchgeschüttelt. Gut zehn Meter über dem Boden erfuhr unser Airbus A321 dann wieder einige Böen. Der Cockpit-Crew gelang es diesmal aber den Flieger gerade auf diesen letzten Höhenmetern richtig schön in der Waage und in einem gleichmäßigen Sinkflug zu halten, was mich wenige Meter über dem Boden bereits dazu bewegte Yup, 1a zu sagen und meine beiden Daumen nach oben zu strecken, wie mir die neben mir sitzende Purserette später ebenfalls sagte.

Wir setzten fast schon überraschend sanft auf... Applaus und Jubel entbrannt in der Kabine. Da war einigen Fluggästen wohl doch ordentlich der Stift gegangen und solche Drucksituationen entladen sich halt durch Übersprungverhalten wie z.B. Jubeln oder Klatschen?! Aber auch der verantwortliche Purser des Fluges war hörbar erleichtert, als er kurz nach der Landung über die Sprechanlage einen erneuten Applaus für die fantastische Cockpit-Besatzung erbat.

Als wir dann auf dem Weg zur Parkposition waren, sprach mich die neben mir sitzende Purserette an.

Purserette: Fliegen Sie auch?
Ich: Nein?! Nicht mehr. Wieso?
Purserette: Weil Sie beim ersten Anflug schon vor dem Aufheulen der Triebwerke laut Go-Around gesagt haben. Und beim zweiten Versuch haben Sie schon kurz vor dem Touchdown Yup, 1a gesagt und beide Daumen nach oben gestreckt.
Ich: Was? Echt?

Da scheint doch noch mehr Pilot in mir zu stecken, als ich bisher gedacht habe... Ich erzählte ihr dann, dass ich die komplette Ausbildung zum Verkehrspiloten gemacht habe, mir der Platz im Cockpit aber letztlich verwehrt blieb. Ich erzählte ihr auch, dass ich mir schon immer mal gewünscht habe, einen Go-Around im Verkehrsflieger mitzuerleben, weil ich während der Ausbildung so viele machen musste.

Als ich ihr das erzählte, wurde mir bewusst, wie krank das klingt und das ich das eigentlich mehr so wegen einer blockierten Landebahn oder anderen, wenig dramatischen Gründen wollte. Das gestern war eine echt brenzlige Situation! Das hätte fatal um nicht zu sagen final ausgehen können, wenn die Störung bei geringerer Höhe oder eben stärker ausgefallen wäre. Einen Wimpernschlag später reagiert und wer weiß...

Aber egal. Es ist ja gut gegangen und von dem Adrenalinstoß hatte ich selbst beim Verlassen des Flugzeuges noch was davon. Dies war eine Situation, die mit Sicherheit gerade für mit Flugangst behafteten Passagiere die absolute Hölle war. Gleichzeitig kann dies aber auch die eine Situation sein, die ihnen hilft, über diese Angst hinwegzukommen. Warum?

Weil es ein Musterbeispiel dafür ist, wie gut trainiert Cockpitbesatzungen heutzutage bei den guten Airlines sind. Dabei geht es nicht nur um die rein fliegerischen Fähigkeiten, sondern vielleicht im besonderen Maße um die psychologischen Fähigkeiten?! Wenn man dadurch kein Vertrauen gewinnt, dann...

Beim Deboarding stand nun die Cockpit-Besatzung vor der Cockpit-Tür. Ein älterer, erfahren und gelassen aussehender Kapitän mit einem blutjungen und etwas mitgenommen aussehenden Co-Piloten. Und das mit dem Mitgenommen meine ich nicht abfällig! Ich kann das glaube ich sehr gut nachvollziehen und bin fest davon überzeugt, dass er – wenn er das erst mal im Debriefing und mit ner Nacht Schlaf verarbeitet hat – gestärkt und wesentlich erfahrener aus der Situation hervorkommen wird!

Im Vorbeigehen sagte ich den Beiden nicht nur Tschüss, sondern voller Anerkennung und Respekt auch Good airmanship und das ob meiner durchkommenden Glücksgefühle mit einem breiten Grinsen im Gesicht! Ein Feedback, das Beide angesichts ihrer mimischen als auch verbalen Reaktion sichtlich zu schätzen wussten!

Jetzt fehlt mir auf meiner fliegerischen Bucket-List der Ausnahmesituationen nur noch ein Startabbruch und bevor ihr mir jetzt mit Kritik daran kommt... Ich verstehe eure Denkweise! Versteht ihr bitte auch, dass ich dabei an wenig kritische Gründe für einen Startabbruch denke, schließlich will ich auch wieder zu meiner kleinen süßen Tochter zurück nach Hause!


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