Trauerbewältigung - aber wie?

Donnerstag, 11. November 2021
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Lesedauer: 11 Minuten

Hast du schon mal einen schwerwiegenden Verlust erlitten? Bei so einem schwerwiegenden Verlust kann es sich um den Verlust einer besonderen Person aber auch um den Verlust ideeller Werte, Fähigkeiten oder Perspektiven handeln.

All diesen schwerwiegenden Verlusten ist eines gemein. Sie lösen in uns eine Gemütsstimmung, einen emotionalen Zustand aus, der viele überwältigt, lähmt und sehr destruktiv sein kann. Einige stecken ihn wankend weg, während andere daran sogar zerbrechen.

Dieser emotionale Zustand ausgelöst durch einen schwerwiegenden Verlust wird Trauer genannt. Interessanter Weise wird aber auch der Prozess der Überwindung oder Verarbeitung dieses schwerwiegenden Verlustes Trauer genannt. In diesem Post möchte ich nun mit dir schauen, wie sich dieser Trauerprozess, das Trauern, in vier Phasen, sogenannten Trauerphasen gliedert und was die trauernde Person selbst oder aber ihr Umfeld durch aktive Trauerarbeit tun können, um die Trauerphasen positiv zu beeinflussen.

Jeder Mensch durchläuft den Prozess der Trauer anders und daher wird dieser Post auch kein garantiert wirksames Rezept zur Überwindung eines schwerwiegenden Verlustes liefern können. Wichtig zu wissen ist auch, dass Trauer unterschiedlich lange dauert und ein absolut notwendiger Heilungsprozess für die Seele des trauernden Menschen darstellt. Daher sollte Trauer uneingeschränkt ausgelebt werden dürfen und keinesfalls unterdrückt werden.

Wie bei allem im Leben, so schadet es auch in Bezug auf Trauer nicht, ein gewisses Grundwissen über die Trauer und Optionen zu deren Bewältigung zu haben. Gerade in unserer Kultur ist der Umgang mit einem Verlust, beispielsweise durch Tod, in gewisser Art und Weise tabuisiert.

Um dieses Tabu zu brechen, möchte ich dir das eine oder andere, wissenschaftlich entwickelte Modell vorstellen. Beginnen möchte ich dabei zunächst mit dem in vier Phasen unterteilten Trauerprozess nach Verena Knast.


Die vier Phasen des Trauerprozesses nach Verena Knast

Die Schweizer Psychologin Verena Knast unterteilt den Trauerprozess in ihrem Modell in vier Phasen, die zwar grundsätzlich nacheinander ablaufen, dabei aber auch ineinander übergehen. Sie sind also nicht klar voneinander getrennt. Diese vier Phasen sind:
  1. Nicht-Wahrhaben-Wollen
  2. Aufbrechende Emotionen
  3. Suchen und Sich-Trennen
  4. Neuer Selbst- und Weltbezug
Die erste Phase nach Verena Knast ist glaube ich fast selbsterklärend. Der schwerwiegende Verlust ist gerade eingetreten. Man steht unter Schock, man will den Verlust nicht wahrhaben oder leugnet diesen sogar. Die Phase kann zwischen einigen Tagen und Wochen andauern.

Mit Eintreten in die zweite Phase wird der Verlust realisiert und nicht mehr länger geleugnet. Dies bringt Emotionen zum Aufbrechen. Emotionen wie Schmerz, Zorn, Verzweiflung oder Wut. Auch Schuldgefühle können auftreten und mit Übergang in die dritte Phase stellt sich zunehmend die Frage nach dem Warum. Diese Phase kann zwischen Wochen und Jahren andauern.

Die dritte Phase ist geprägt von der Auseinandersetzung mit dem Verlorenen an sich. Orte gemeinsamer Erinnerungen oder Erlebnisse werden aufgesucht. Es wird noch mal eine Nähe zum Verlorenen gesucht und damit meist positive Erinnerungen wieder erweckt. Genau diese helfen der trauernden Person dann auch, sich mental vom Verlorenen zu trennen, über den Verlust hinwegzukommen und wieder ins eigene Leben zurückzukehren. Man könnte auch sagen, die trauernde Person hat ihren inneren Frieden mit dem Verlust gemacht. Auch diese Phase kann zwischen Wochen aber auch Jahren andauern.

Mit Eintritt in die vierte Phase beginnt die trauernde Person sich wieder mit sich zu beschäftigen. Es werden Pläne gemacht und bestenfalls kommt es zu keinen Rückfällen in vorherige Phasen mehr. In dem Falle ist der Trauerprozess abgeschlossen und das Verlorene zum wichtigen aber nicht mehr ausschlaggebenden, inneren Begleiter geworden.


Die vier Phasen des Trauerprozesses nach Yorick Spiegel

Der deutsche Theologe Yorick Spiegel unterteilt seinen Trauerprozesses in seinem Modell zwar auch in vier Phasen, diese haben aufgrund seines theologischen Hintergrundes aber einen ganz anderen Blickwinkel und andere zeitliche Einteilungen. Seine vier Phasen sind:
  1. Schock
  2. Kontrolle
  3. Regression
  4. Anpassung
Die erste Phase nach Yorick Spiegel ist glaube ich auch absolut selbsterklärend. Der Schock tritt unmittelbar mit dem Erhalt der Verlustnachricht ein. Die Schwere des Schocks ist dabei unterschiedlich ausgeprägt und gezeichnet von verringerter Ansprechbarkeit und Wahrnehmung bis hin zum Zusammenbruch. Diese Phase ist recht kurz und bewegt sich im Bereich von Stunden bis wenigen Tagen.

Die zweite Phase ist von der Kontrolle der eigenen Emotionen geprägt und das sowohl durch eigene als auch fremde Aktivitäten. Die trauernde Person ist dabei förmlich gelähmt, absolut passiv und nimmt die Ereignisse wie in einem langsam abgespielten Film wahr. Eine Leere macht sich in der trauernden Person breit. Diese Phase ist extrem anstrengend, was sich beispielsweise darin äußert, dass der Trauernde seine Kommunikation mit der Außenwelt auf das allernotwendigste reduziert. Die zweite Phase endet mit der Rückkehr von der Beerdigung und der deutlichen Reduktion der äußeren Unterstützung.

In der dritten Phase zieht sich der betroffene Mensch meist völlig von seiner Umwelt zurück. Er befindet sich in einer Regression. Die eigentlich Trauerarbeit beginnt. Der Verlust wird zwar realisiert aber das Verlorene noch nicht losgelassen.

Mit Eintritt in die vierte Phase gelingt nach und nach das Verlorene loszulassen und es werden Wege gefunden, den Verlust hinzunehmen, mit seinen Konsequenzen auf eine gesunde Art und Weise umzugehen. Die Anpassung und damit der Weg in ein neues, eigenes Leben beginnt.

Anders als bei dem Modell von Verena Kast kann es im Modell von Yorick Spiegel auch immer wieder zu Rückschritten in längst überwunden geglaubte Phasen kommen. Die Länge der Phasen reduziert sich jedoch von Mal zu Mal.


So unterschiedlich die beiden Modell der Trauerprozesse auch sein mögen, so weisen sie für mein Empfinden auch viele Gemeinsamkeiten auf und auch eine wenig überraschende Ähnlichkeit der beiden Modelle zum Modell des Change Managements ist nicht von der Hand zu weisen.

Eine Kenntnis dieser Modelle ist gerade für Trauerbegleiter extrem hilfreich, weil es die Nachvollziehbarkeit der Handlungen der trauernden Person erhöht und somit je nach Phase auch unterschiedliche Mittel der Unterstützung gewählt werden können. Maßnahmen die in der ersten Phase eine vergebene Liebesmüh darstellen, können in einer anderen Phase absolut hilfreich sein.

Auch stellt sich die Frage, was man denn im Sinne von Aufgaben im Rahmen der Trauerarbeit abzuarbeiten hat?


Aufgaben der Trauerarbeit nach Yorick Spiegel

Nach Yorick Spiegel umfasst die Trauerarbeit acht Aufgaben, die die trauernde Person anzugehen und erfolgreich zu bewältigen hat. Sie werden auch als Lernaufgaben bezeichnet. Diese sind:
  1. Auslösung der Trauer
  2. Strukturierung
  3. Anerkennung der Realität
  4. Entscheidung zum Leben
  5. Expression unakzeptabler Gefühle und Wünsche
  6. Bewertung des Verlustes
  7. Inkorporation des Verstorbenen
  8. Chance der Neuorientierung
Um diesen Post relativ kurz zu halten, möchte ich auf die Details hier nicht eingehen und stattdessen lieber noch die Fragen klären, was denn unterstützend einen positiven Einfluss auf den Trauerprozess haben kann? Und ich schreibe bewusst kann, denn auch wenn viele nach der ultimativen Formel eines beschleunigten Trauerprozesses suchen, so ist es doch allgemeine, wissenschaftliche Meinung, dass dies unmöglich ist! Dennoch gibt es Dinge, die vermieden oder unterstützend gemacht werden können, um den Trauerprozess zu erleichtern. Doch welche sind das?


Unterstützende Maßnahmen der trauernden Person

Die erste unterstützende Maßnahme der trauernden Person ist es, nicht um jeden Preis ein starkes Auftreten dem Umfeld gegenüber aufrechtzuerhalten. Man sollte die Trauer sowie damit einhergehende Gefühle zulassen und keinesfalls unterdrücken. Das Umfeld kann, nein soll gerne wissen, wie es um die trauernde Person gerade steht, denn nur so kann das Umfeld selbst auch verstehen und passend unterstützend wirken.

So pauschal das auch klingt, aber das Schreiben eines Tagebuchs hilft auch in einer solchen Extremsituation, die eigenen Gedanken auszudrücken und zu sammeln, sich mit diesen auseinanderzusetzen und das gerade in der Trauerphase, die eher von introvertiertem Verhalten geprägt ist. Eine Abwandlung vom Tagebuch wäre ein sogenanntes Trauerbuch, in dem Erinnerungen, gute wie auch schlechte niedergeschrieben werden können. Über diesen speziellen Weg ist dann auch eine Einbindung des vertrauten Umfeldes möglich und das Trauerbuch kann mit zusätzlichen Erinnerungen im positiven Sinne wachsen.

Man sollte als trauernde Person nicht jedes Wort seines Umfelds auf die Goldwaage legen und das auch, wenn diese Worte noch so schmerzhaft auf einen wirken. Der Umgang gerade mit menschlichem Verlust ist in unserer Gesellschaft immer noch tabuisiert und das obwohl mit der Schaffung von Leben unumkehrlich auch dessen Ende vorprogrammiert ist. Mit dieser Tabuisierung geht automatisch eine völlige Hilflosigkeit und Unsicherheit in der dann plötzlich auftretenden Situation einher. Und wie wir alle wissen, man kann die besten Absichten haben, unter Stress geht dann aber doch mal was schief. In diesem Moment zählt die ehrlich gefühlte Anteilnahme als Zeichen an sich und nicht zwangsläufig jedes Wort.

Gerade in seelischen Extremsituationen ist es extrem wichtig, den Körper in seiner Grundfunktionalität gut am Laufen zu halten. Das bedeutet viel Sonnenlicht und frische Luft. Das bedeutet aber auch, für eine ausgewogene Ernährung zu sorgen und das auch, wenn man aufgrund einer Appetitlosigkeit glaubt, nichts runterzubekommen.

Auch wenn das Wort Ablenkung in einer solchen Situation von einigen negativ aufgenommen werden kann, so ist diese durch Arbeit, Café-Besuche oder andere Freizeitaktivitäten durchaus absolut wichtig. Ständig in Gedanken verfangen zu sein, ist für das menschliche Gehirn extrem anstrengend. Es braucht auch mal eine Pause, um die zwangsläufig wieder hochkommenden Gedanken an den Verlust besser verarbeiten zu können. Und was andere darüber denken, kann einem selber in dem Moment mal völlig egal sein, solange man sich selbst mit der Ablenkung etwas Gutes tut.

Und last but not least sollte man sich nicht unter Druck setzen lassen, sich Zeit nehmen, das Geschehene zu verarbeiten. Wie in den beiden Modellen des Trauerprozesses schon genannt, dauern die Phasen je nach betroffener Person unterschiedlich lange. Und wenn das Umfeld für die andauernde Trauer kein Verständnis aufbringen kann, ist es vielleicht auch das falsche Umfeld!

Gelingt einem selbst nicht, einen gewissen, selbstgemachten Zeitdruck abzuschütteln, dann kann man den Kontakt zu und das Gespräch mit anderen Betroffenen suchen, die entweder selbst gerade durch die Situation gehen oder aber in der Vergangenheit gegangen sind. Man kann seine Gedanken und Gefühle teilen und wird sicher feststellen, dass man mit solchen Gedanken und Gefühlen nicht alleine ist.

Der Kern der unterstützenden Maßnahmen ist also, der eigenen Trauer einen Ausdruck zu verleihen, nicht alles in sich hineinzufressen und mit sich auszumachen.


Unterstützende Maßnahmen Außenstehender

Wie ich schon schrieb, ist man durch die Tabuisierung des Themas Verlust in unserer Gesellschaft häufig absolut mit solch einer Situation überfordert und das selbst dann, wenn man als Außenstehender selbst gar nicht direkt vom Verlust betroffen ist.

Im weitesten Sinne kann man als Außenstehender nur wenige aber sehr effektive Dinge tun. Das beginnt mit der (stillen) Anteilnahme. Manchmal bewirkt z.B. die schlichte Anwesenheit auf der Beerdigung inklusive einer kurzen, herzlichen Umarmung viel viel mehr, als eine ausgefeilt formulierte Kondolenz, die in der ersten Phase der Trauer eh nicht aufgenommen wird.

Je nachdem, wie nah man der trauernden Person steht, kann man dieser Unterstützung zukommen lassen, indem man bei der Bewältigung der Herausforderungen des Alltags hilft. Das beginnt mit der Organisation der Trauerfeier und Beerdigung und geht mit der Übernahme von Teilen des haushälterischen Alltags weiter.

Man kann der trauernden Person ganz unbefangen Raum zum Ausleben seiner extremen Emotionen geben, indem man beispielsweise nach dem Befinden fragt. Wichtig dabei ist das echte Mitfühlen und Zuhören!

Eine weitere unterstützende Maßnahme Außenstehender stellt die aufrichtige aber nicht aufdringliche Begleitung der trauernden Person dar. Dabei sollte immer daran gedacht werden, alles geht, nichts muss! Gerne können Angebote für gemeinsame Aktivitäten gemacht werden. Die trauernde Person bestimmt aber die Geschwindigkeit.

Und last but not least sollte man als Außenstehender auch nicht davor zurückschrecken, die trauernde Person in einer passenden Situation und ohne Ausübung jeglichen Drucks zur Annahme professioneller Hilfe zu ermutigen, denn Trauer kann auch zu einer tiefen Depression führen.

Zusammengefasst sollte man als Außenstehender die trauernde, nahestehende Person also nicht alleine lassen, das eigene Mitgefühl zeigen und Hilfe anbieten. Lasten lassen sich gemeinsam besser tragen als alleine... Und auch die bedächtliche Animation zur Nutzung der eigenen, unterstützenden Maßnahmen weiß die trauernde Person später sicher zu schätzen.

Es gibt also Vieles, das unterstützend bei der Bewältigung von Trauer angewendet werden kann. Hast du eventuell auch schon Erfahrung mit der Bewältigung von Trauer machen müssen? Wie immer würde ich mich über Beiträge von dir und dein Feedback zu diesem Post sehr freuen.
Kommentar der Redaktion:

Dieser Post ist meinem Kollegen und Brother in Arms Luan Vu gewidmet. Mit ihm ist vor wenigen Wochen ein wirklich guter und im Positiven besonderer Mensch gegangen und das viel, viel zu früh. Seine herzliche, offene Art wird für immer in meinen Erinnerungen bleiben und ich bin dankbar für alles, was ich von ihm oder durch ihn lernen durfte! Ruhe in Frieden.


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