Honest pre-flight safety intro

Mittwoch, 09. September 2020
Serie Luftfahrt S1 • E2
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Lesedauer: 9 Minuten

Ihr kennt das sicherlich?! Man sitzt im Flugzeug und bevor es dann richtig los geht, kommt die Safety Instruction. Es gibt richtig gute und zum Schreien lustige Versionen, die entweder wirklich von Airlines in Auftrag gegeben wurden oder aber einfach auf der unglaublichen Kreativität und dem Humor der Crew basieren. Ein solches Beispiel werde ich euch eventuell in einem weiteren Post mal vorstellen.

Aber wenn wir mal ehrlich sind, dann sind das krasse Ausnahmen und in den meisten Fällen sind die Safety Instructions immer gleich und einfach öde. Die Flugbegleiter*innen spulen ihr Ballett ab und kaum einer schaut hin oder hört gar zu.

Das aber kann fatal sein, nämlich dann, wenn es wirklich zur Ausnahmesituation kommen sollte. Dann zahlt es sich zum Teil schon aus, das eine oder andere vor Augen gehabt zu haben.

Hinter diesen Safety Instructions steht natürlich auch viel Psychologie, die dem Fluggast eine gewisse Sicherheit vermitteln sollen. Aber ist dem denn auch so?

Vielleicht hilft es, wenn das Video mal nicht abgespielt werden kann und ein über seine vielen Dienstjahre schon etwas desillusionierter Kapitän solch eine Einweisung aus dem Cockpit heraus macht? Was würde der dann wohl erzählen?


Die vermutliche absolut ehrliche Pre-Flight Safety Instruction eines Kapitäns:

Grüße aus dem Cockpit, hier spricht ihr Kapitän.

Unser AV-System ist heute defekt und deshalb können wir Ihnen leider unser 2 Millionen Euro teures Sicherheitsvideo, das eine Werbefirma für uns produziert hat, nicht zeigen.

Da aber nur wenig aus dem Video wirklich zur Rettung ihres Lebens beitragen würde, mache ich das heute mal.

Die FAA hat herausgefunden, dass 60% von Ihnen die Sicherheitseinweisung ignorieren. Heute werden Sie nun die echte Sicherheitseinweisung hören, die man Ihnen schon vor Jahren hätte geben sollen. Ich bin mir sicher, meine Einweisung wollen Sie nicht ignorieren.

Gleich zu Beginn das Wichtigste, was Sie mitbekommen sollten. Wenn wir eine Bruchlandung hinlegen, werden – statistisch betrachtet – 95% von Ihnen überleben. Wenn wir abstürzen sollten, werden 55% von Ihnen überleben. Von daher möchte ich Ihnen im Unglücksfalle sehr ans Herz legen, überlegt zu handeln, denn Ihr Leben kann von ein paar klugen Entscheidungen abhängen.

Haben Sie bitte im Hinterkopf, dass 80% der Flugunfälle in den ersten drei oder letzten acht Minuten eines Fluges passieren. Daher wäre es klug, in jenen Zeiträumen die Schuhe anzulassen, das Laptop wegzulegen und fokussiert das Geschehen zu beobachten.

post_0919_honest_pre-flight_safety_instruction_2 Beispiel des Ablaufs einer Crash-Landung.
Die sichersten Plätze in diesem Flugzeug sind jene, die mit dem Rücken in Flugrichtung zeigen. So wie z.B. die der Flugbegleiter*innen. Das ist natürlich kein Zufall! Die nächst sichersten Plätze sind jene nahe der Notausgänge über den Tragflächen. Sollten Sie auf keinem dieser Plätze sitzen, ist das für Sie persönlich jetzt natürlich Mist. Aber ich sage Ihnen jetzt, was sie tun können, um Ihr Überleben sicherzustellen.

Schauen Sie, wo sich der nächstgelegene Ausgang befindet. Zählen Sie die Reihen zwischen Ihnen und dem Ausgang. Wenn die Kabine nun voll von Rauch ist oder auf dem Kopf steht oder beides gleichzeitig, wie kommen Sie dann zu diesem Ausgang? Nehmen Sie sich jetzt einen Moment, sich genau das vor das geistige Auge zu führen.

Jetzt schauen Sie sich mal Ihren Sicherheitsgurt an. Ich weiß, Sie wissen alle, wie man diesen benutzt aber Sie sind aktuell auch in keiner lebensbedrohlichen Situation. In solch einer Situation ist es für uns Autofahrer ein automatisiertes Verhalten, einen (nicht vorhandenen) Knopf drücken zu wollen, um den Gurt zu öffnen. Also nehmen Sie sich einen Moment Zeit und führen Sie sich das Öffnen dieses Gurtes mittels eines Hebels im Moment eines Notfalls ebenfalls vor das geistige Auge. Machen Sie es auch direkt ein paar Mal, um sich an die Bewegung zu gewöhnen.

Notfallevakuierungen auf der Piste sind sehr viel wahrscheinlicher als ein Absturz. Sollte beispielsweise ein Triebwerk brennen, müssen wir Sie alle innerhalb von 90 Sekunden aus dem Flugzeug bekommen. Das heißt, dass Sie Ihr verschissenes Handgepäck in den Staufächern lassen und dann schnell und geordnet das Flugzeug verlassen. Das Handgepäck mitnehmen zu wollen, würde die Evakuierung im wahrsten Sinne des Wortes zum Stillstand bringen.

Mein erster Offizier und ich werden ebenfalls versuchen, das Flugzeug zu verlassen und das Letzte, was wir dann erleben wollen ist, die Cockpittür von Ihrem Handgepäck blockiert vorzufinden.

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Sie wissen sicherlich, dass sich eine Schwimmweste unterhalb Ihres Sitzes befindet. Vergessen Sie die! Die Wahrscheinlichkeit, dass Ihnen diese das Leben retten ist geringer als die bei Nutzung der kleinen Kisschen, die Sie auf Ihrem Sitz vorgefunden haben. Natürlich gab es 2009 diese berühmte Notwasserung auf dem Hudson River aber da waren innerhalb kürzester Zeit ausreichend Boote zur Rettung der Passagier in der unmittelbaren Nähe. Niemand brauchte die Schwimmweste.

1970 gab es einen Flug, der in der Karibik notwasserte und bei dem wahrscheinlich 40 Leben durch solch eine Schwimmweste gerettet wurden. Aber es gab auch ein Notwasserung an der äthiopischen Küste im Jahre 1996, bei der viele Passagiere die Schwimmweste viel zu früh angelegt und ausgelöst hatten und dann nicht mehr aus der gefluteten Kabine entfliehen konnten. Um es mit anderen Worten zu sagen... Wenn wir diese Schwimmweste unter ihrem Sitz gegen eine Tafel Schokolade austauschen würden, würde dies Ihre Überlebenschance weder positiv noch negativ verändern.

Lassen Sie uns auch einen Moment Zeit nehmen, um über die Sauerstoffmasken zu sprechen. Aufgepasst, jetzt kommt der Knaller... Wenn wir den Kabinendruck in geringer Höhe verlieren, ist das überhaupt kein Problem. Sie können dann immer noch ganz normal atmen. Wenn wir aber den Kabinendruck auf Reiseflughöhe verlieren, können Sie nicht mehr normal weiteratmen. Sollte das passieren, muss ich folgendes tun...

Ich werde die Nase des Flugzeuges für einen Notfallsinkflug stark nach unten drücken. Das wird sich wie eine Achterbahnfahrt anfühlen und Sie zu Tode erschrecken. Aber das ist nicht gefährlich, weil ich das oft geübt habe!

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Aufgrund regulatorischer Vorgaben bin ich in solch einer Situation dann verpflichtet, diesen Vorgang unmittelbar der Flugsicherung und meiner Fluglinie mitzuteilen. Und all das muss ich machen, bevor ich mir das Mikrofon schnappen kann, um Ihnen mitzuteilen, was gerade passiert ist. Also seien Sie nicht überrascht, wenn Sie von mir einen Moment lang nichts hören. Ich mache nur meinen Job und Ihnen wird nichts passieren.

Diejenigen unter Ihnen, denen es nicht rechtzeitig gelungen ist, sich die Sauerstoffmaske aufzusetzen, werden sicherlich bewusstlos und dann nach ein paar Minuten – wenn ich den Flieger auf eine geringe Flughöhe gebracht habe – wieder aufwachen.

Aber jetzt mal Butter bei die Fische! Wollen Sie wissen, was die größte Gefahr für Sie in dieser Situation darstellt? Nun, Sie werden sehr wahrscheinlich keine Frequent Flyer Punkte erhalten...

Spaß beiseite und jetzt mal ernsthaft. Die größte Gefahr für Sie besteht darin, dass Ihr Handgepäck oder die gerade erst gekauften Duty Free Flaschen feinsten Alkohols beim Öffnen der Staufächer heraus- und einem anderen Fluggast auf den Kopf fallen. Jedes Jahr gibt es dazu tausende Unfallberichte allein in den USA. Im Gegensatz dazu berichtet die FAA aber nur von 58 schwerwiegenden Verletzungen durch Turbulenzen. Da kann man sich schon mal die Frage stellen, warum Fluggesellschaften keine Helme ausgeben und dafür auf die Sicherheitsgurte verzichten...?

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Ein anderes hohes Unfallrisiko ist der Getränkewagen. Ernsthaft, das Ding wiegt voll beladen über 100 Kilogramm und jedes Jahr verletzten sich Passagiere schwer an Ellenbogen oder Knien, wenn solch ein Getränkewagen auf sie stürzt. Also halten Sie am Besten Ihre Arme und Beine fern von den Getränkewagen.

Jetzt kann man sich die Frage stellen, warum Fluggesellschaften ihre Getränkewagen nicht sicherheitshalber ein wenig polstern? Ganz ehrlich? Ich frag mich das auch! Sollte eigentlich ziemlich offensichtlich sein.

Aber das Gleiche gilt übrigens auch für die auslaufsicheren Kaffee- oder Teebecher mit Deckel. Jedes Jahr vergießen viele arme Fluggäste schon bei geringen Turbulenzen heißen Kaffee oder Tee über ihrem Schoß. Aber ich fürchte, dass Sie mit dem Problem ziemlich alleine sind, bis die Fluggesellschaften dafür eine Lösung entwickelt haben. Finden Sie sich also damit ab.

Sie fragen sich sicherlich auch, wie dieser Haufen aus Metall und Nieten in der Luft bleiben kann, wenn wir nicht mal das AV-System oder die Verriegelung an ihrem Tisch einsatzfähig halten können?! Um ehrlich zu sein, uns hier vorne im Cockpit wundert das auch ab und zu mal!

Aber die Statistik spricht für sich. Das jährliche Risiko bei einem Flugzeugabsturz ums Leben zu kommen liegt laut einer Studie der Harvard School of Public Health aus dem Jahre 2006 bei 1 zu einer Million. Es ist sehr viel wahrscheinlicher, dass Sie von einem Blitz getroffen oder von einem Hai getötet werden! Fliegen ist auch nachweislich sicherer als Autofahren.

Direkt nach dem 11. September 2001 trauten sich viele nicht mehr zu fliegen. Die Passagierzahlen sanken um 12 bis 20 Prozent. Weil aber nun mehr Menschen mit dem Auto fuhren und eben nicht mehr flogen hat ein deutscher Professor für das Jahr nach dem Terroranschlag geschätzt, dass es allein dadurch im Straßenverkehr zu 1595 zusätzlichen Todesfällen gekommen ist und das nur in den USA.

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Dann noch eine kleiner Hinweis. Wir werden für Sie sehr wahrscheinlich den gesamten Flug über die Anschnallzeichen anlassen, damit Sie unsere Crew in der Bordküche nicht nerven und weil unsere Flugbegleiter es überhaupt nicht mögen, sich auf den Gängen ständig freundlich an Ihnen vorbeizwängen zu müssen.

Wie auch immer... Lehnen Sie sich bitte zurück und entspannen Sie sich, während wir eine gefühlte Ewigkeit brauchen, Ihnen ein Getränk und fast ungenießbares Essen zu servieren, um dann anschließend das Tablett auf ihrem Tisch stehen zu lassen, so dass es Ihnen fast unmöglich ist, Ihren Platz zu verlassen und die Toilette aufsuchen zu können.

Ich freue mich darauf, Sie fliegen zu dürfen und wünsche uns allen einen angenehmen und sicheren Flug.


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