Gigantischer Rollout

Donnerstag, 28. März 2019
Google Maps Everett
post_0760_gigantischer_rollout_1 Das erste markante äußerliche Merkmal der neuen Boeing 777-9 - die klappbaren Flügelenden.
Quelle: @SamChuiPhotos @Twitter

Lesedauer: 4 Minuten

Eigentlich hatte Boeing vor zwei Wochen einen im wahrsten Sinne des Wortes riesigen Grund zum Feiern. Aufgrund des Absturzes einer Boeing 737 MAX 8 der Ethiopian Airlines am Sonntag, den 10.03.2019 hatte Boeing aber den offiziellen Rollout seines neuesten Produktes verschoben. Man hielt die öffentliche Durchführung dieses rein symbolischen Aktes für völlig unangemessen. Aber was wollte Boeing denn da am Mittwoch, den 13.03.2019 aus seinen heiligen Hallen in Everett ans Tageslicht rollen und damit der Öffentlichkeit präsentieren?

Bei dem Giganten handelt es sich um die erste Boeing 777-9 und damit das erste Exemplar der nagelneuen Boeing 777X-Familie. Boeing hat sich aus meiner Sicht mit der Weiterentwicklung seines Anfang der 90er Jahre entwickelten Erfolgsmodells 777 strategisch bestens auf dem Markt in Stellung gebracht.

Der Markt der Langstreckenflugzeuge geht angesichts der Triebwerksentwicklung immer mehr weg von den vierstrahligen hin zu den zweistrahligen Flugzeugen. Sich dann auf sein Erfolgsprodukt zu fokussieren und es den Wünschen der Airlines anzupassen, anstatt etwas völlig Neues aus dem Boden zu stampfen, erscheint mir da schon eine sehr schlaue Entscheidung.

Bzgl. der Boeing 777X-Familie wird sogar gemutmaßt, dass diese strategische Entscheidung dem Airbus A380 den Garaus gemacht hat! Aber kann das stimmen und wenn ja warum?

Nun dafür muss man sich die Neuerungen der neuen Boeing 777-8 mal genauer anschauen und mit den Marktanforderungen und den Konkurenzprodukten vergleichen.

Das Auffälligste an der neuen Boeing 777-8 sind definitiv die Triebwerke. Dabei handelt es sich um die brandneuen und bärenstarken Triebwerke des Typs General Electric GE9X. Das Triebwerk ist ein absoluter Gigant aus der Gruppe der High Bypass Turbofans.

Der im Triebwerk verbaute Fan, den man am Triebwerkseinlass immer so schön sehen kann, hat einen Durchmesser von 3,40 Meter. Die Cowling, also die Verkleidung des Triebwerks hat sogar einen Durchmesser von unglaublichen 4,40 Meter. Als Größenvergleich können glaube ich der jeweilige Rumpfdurchmesser der üblichsten Kurzstreckenflugzeuge gut hergenommen werden. So könnte man theoretisch sowohl die Boeing 737 mit 3,76 Metern Rumpfdurchmesser als auch die etwas breiteren Flugzeuge der Airbus A320-Familie mit 3,96 Metern Rumpfdurchmesser mal locker durch die Cowling der General Electric GE9X Triebwerke schieben.

Verbunden mit den schier riesigen Ausmaßen kommt natürlich auch ein unglaublicher Schub. General Electric hat diesen Triebwerkstyp, dessen Stückpreis 2016 bei etwa 41M $ lag, an seiner Firmen-eigenen Boeing 747-400 getestet. Dabei war dieses eine Triebwerk Gerüchten zu Folge locker in der Lage, die 747 alleine mit dem für einen sicheren Flug notwendigen Schub zu versorgen!

post_0760_gigantischer_rollout_2 Der Versuchsträger des Triebwerkherstellers Generel Electric mit einem an dieser 747 verbauten neuen Triebwerk vom Typ GE9X.
Quelle: GE Aviation
Gleichzeitig ist dieses Triebwerk natürlich auch noch mal deutlich effizienter geworden und verbraucht trotz mehr Power auch noch weniger Kerosin. Angeblich soll die Maschine dann pro Passagier auf 100 Kilometern unter 3 Liter Kerosin verbrauchen. So soll das Triebwerk beispielsweise die noch kommende kleiner Schwester, die Boeing 777-8, auf eine Reichweite von 16.090 Kilometer bringen. Wenn man die Sicherheitsmengen an Kerosin da mal außer Acht lässt, könnte man mit der Boeing 777-8 dann auf direktem Wege Nonstop von Sydney nach Wien oder New York City fliegen, was jeweils einer Entfernung von ungefähr 16.000 Kilometern entspricht.

Der geringere Verbrauch ist dabei dann natürlich ein absoluter Bringer im Vergleich zu den recht durstigen vierstrahligen Mitwettbewerbern wie z.B. dem Airbus A380 oder der Konzernschwester Boeing 747. So ist der neue Flieger bei den Airlines natürlich heiß begehrt und hat damit sicherlich auch seinen Einfluss auf das angekündigte Produktionsende des vergleichsweise durstigen Airbus A380 gehabt.

Ein weiterer Grund, warum man die Boeing 777-9 als Giganten bezeichnen kann sind seine Ausmaße. Da wäre zunächst die Länge die mit 76,7 Meter. Diese macht dieses Fuselage zum längsten in der zivilen Luftfahrt und bietet nur noch 3,3 Meter Luft zur maximal gestatteten Länge. Damit ist dieser Rumpf noch mal 1,40 Meter länger, als der des Airbus A340-600 oder 40 Zentimeter länger, als der Rumpf des aktuellen Rekordhalters, der Boeing 747-8 Intercontinental. In diesem Rumpf finden dann bei einer typischen Zwei-Klassen-Bestuhlung 414 Passagiere mit Sicherheit ausreichend Platz und ist damit für die Airlines auf ihren Strecken bestimmt auch gut auszulasten.

Eine weitere Neuerung, die auch mit den Ausmaßen im Zusammenhang steht, sind die klappbaren Winglets. Dies war nötig geworden, weil die Airlines den neuen Flieger natürlich an den gleichen Flughäfen im Einsatz haben wollen, wie ihre früher im Einsatz befindlichen Boeing 777. Das hieß für Boeing, die Spannweite sollte 64,80 Meter nicht übersteigen.

post_0760_gigantischer_rollout_3 Das zweite markante äußerliche Merkmal der neuen Boeing 777-9 - das gigantische Triebwerk vom Typ General Electric GE9X.
Quelle: @jonkd84 @Twitter
Nun hatten die Boeing Ingenieure aber einen neuen sehr viel längeren und damit mit einer höheren Aspect Ratio versehenen Tragflügel entwickelt, um den induzierten Widerstand und damit den Kerosin-Verbrauch zusätzlich zu reduzieren. Das führte letztlich zu einer Spannweite von 71,80 Meter. Da musste natürlich eine Lösung her. Und die fanden die Ingenieure in einem Klappmechanismus, der hydraulisch betätigt jeweils 3,50 Meter der Flügelspitzen hochklappt.

Insgesamt führen diese gigantischen Ausmaße bei diesem Flieger zu einem Leergewicht von 180 Tonnen. Jetzt zuckt der Laie natürlich mangels einer Vergleichsmöglichkeit mit den Achseln. Um euch da ein wenig zu helfen... Das entspricht in etwa vier leeren Airbus A320 oder dem maximal zugelassenen Gewicht einer Boeing 767, die ebenfalls für die Langstrecke genutzt wird. Allein die beiden General Electrics Triebwerke wiegen schon je 18 Tonnen!

Einen neuen Rekord hat der Prototyp mit seinem Rollout auf jeden Fall schon gesetzt. Die Boeing 777-9 ist nun das größte zweistrahlige Flugzeug der Welt. Sobald es wahrscheinlich in 2020 den ersten Linienflug durchgeführt hat, wird sie auch das längste Passagierflugzeug der Welt sein. Im Moment liegen für die Boeing 777X ungefähr 350 Bestellungen vor und es scheint wohl so zu sein, dass Emirates die erste Maschine ausgeliefert bekommt.

Nachdem mein Post über den erneuten Absturz einer Boeing 737 MAX bei euch ja u.U. von mir ungewollt zur Vermittlung eines negativen Eindrucks über Boeing geführt hat, möchte ich spätestens hier noch mal explizit hervorheben, dass Boeing mit der 777-Familie aktuell eben auch die sicherste Passagierflugzeugfamilie produziert!

Toll finde ich von Boeing zudem, dass sie die große Rollout-Party und Medienpräsenz aus Respekt den Absturz-Opfern und -Verbliebenen gegenüber abgesagt haben, ihren stolzen Mitarbeitern, die mit viel Fleiß und sicherlich auch Überstunden diesen Giganten erschaffen haben, am Rollout-Tag aber trotzdem einen hautnahen Blick auf ihr Werk erlaubten. Respekt Boeing, dass empfinde ich als ein absolut beispielhaftes Fingerspitzengefühl allen Beteiligten und Betroffenen gegenüber!

Ob Boeing dann evtl. eine riesige Party schmeißt, wenn der Prototyp mit der kaum besser zusammenzustellenden Kennung N779XW im Frühsommer vom Erstflug heil wieder zurückgekommen ist? Wir werden es wohl noch in 2019 sehen und ihr werdet es dann ggf. hier erfahren...
Kommentar der Redaktion:

Lufthansa hat nach dem Rollout eine Antwort auf die heiß diskutierte Frage nach der Stationierung der neuen 777X bekanntgegeben. Demnach plant die Lufthansa ihre ersten Maschinen dieses Typs in Frankfurt zu stationieren. Also, wer diesen Vogel ohne gleich einen Flug zu buchen mal aus der Nähe sehen will, hat dann ab 2020 in Frankfurt wohl die größten Chancen, ihn zu Gesicht zu bekommen.


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Ich bin ein liebevoller Vater, Candourist, Stoiker, Agilist, Product Owner, Hauptmann der Reserve, Diplom-Kaufmann und ausgebilderter Verkehrspilot (ATPL-Credit).
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