America first?

Dienstag, 12. März 2019
Google Maps Escheburg
post_0752_america_first_1 Die riesigen und außergewöhlich designten Winglets der Boeing 737 MAX 7.
Quelle: https://boeing.mediaroom.com/image-gallery?cat=32

Lesedauer: 4 Minuten

Sicherlich habt ihr am letzten Wochenende genauso wie ich über die Nachrichten von einem erneuten katastrophalen Flugunfall mit einem nagelneuen Flugzeug des Herstellers Boeing gehört.

Bei dem nagelneuen Flugzeug handelte es sich erneut um eine Boeing 737 MAX 8 und wie beim Lion-Air-Absturz am 29.10.2018 in der Nähe von Jakarta verlor auch die Ethiopian-Airlines-Maschine am letzten Sonntag bereits kurz nach dem Start in Addis Abeba an Höhe und bohrte sich letztlich mit hoher Geschwindigkeit und recht spitzem Winkel in den Boden.

Bei dem Lion-Air-Unfall haben die Untersuchungen mittlerweile ergeben, dass, wie bei allen Flugunfällen, eine Verkettung von Fehlern zur Katastrophe führte.

Insgesamt verloren in den beiden fatalen Flugunfällen 330 Passagiere und 16 Crew-Mitglieder ihr Leben. Dabei spielte zumindest beim Absturz der Lion-Air-Maschine vor 5 Monaten ein defekter Anströmwinkelsensor in Verbindung mit einer neuen von Boeing entwickelten Software, die sich Maneuvering Characteristics Augmentation System, kurz MCAS, nennt, eine entscheidende Rolle. Diese Software stellt ein automatisiertes System dar, das bei flugkritischen Anstellwinkeln automatisch in die Fluglageregelung eingreift, um einen Strömungsabriss zu verhindern.

Im Fall der Lion-Air leistete die Cockpit-Crew in einem echten Überlebenskampf schier Unglaubliches. Sie brachten die Maschine zwischen Problemauftritt und dem Absturz im Meer vor Jakarta in 11 Minuten unglaubliche 26 Mal wieder ins Gleichgewicht, um dann jedes Mal wieder vom automatisierten System durch ein starkes Nose Down Manöver wieder in den starken Sinkflug gezwungen zu werden.

Die bisher veröffentlichten Gründe zum Lion-Air-Absturz sehen aber nicht nur bei der Software ein Problem, sondern auch bei der Wartung des nagelneuen Flugzeuges und im Handeln der Piloten! Trotz des heroischen Kampfes um die Flugstabilität stellt sich durchaus berechtigt die Frage, warum die beiden Piloten den Abschaltmodus des MCAS nicht kannten oder schlicht weg nicht nutzten?

Und da kommt ein weiterer spannender Punkt ins Spiel. Hat Boeing mittels der für den Flugzeugtyp erstellten Handbücher die Piloten ausreichend über das MCAS informiert? Drei US-Pilotengewerkschaften verneinen dies und werden diesbezüglich durch zwei US-Fluggesellschaften unterstützt.

Für Boeing ist das natürlich nicht nur wegen der möglichen Rufschädigung fatal, sondern auch aufgrund möglicher Strafen. Daher erklärt Boeing in einer ersten Reaktion auf die Vorwürfe im Zusammenhang mit der Lion-Air-Maschine, dass sich die Funktion im Handbuch befinde. Das scheint aber auch nur die halbe Wahrheit zu sein, denn nach dem was ich gelesen habe, befindet sich eine Erklärung des Systems nicht in den Handbüchern. Dafür existiert aber eine Standard-Prozedur, die genau das Abschalten des MCAS für solche Zwischenfälle beinhaltet.

Für mich geht die Diskussion aber nicht weit genug, denn ein weiterer Fakt bzgl. des Designs des MCAS-Features ist kaum zu glauben. Angeblich gibt nur einer von zwei Sensoren die Fluglagedaten an den Bordcomputer weiter! Ernsthaft? In der Luftfahrt ist alles auf Redundanz ausgerichtet. Alles muss mindestens doppelt vorhanden sein, eher sogar dreifach. Und jetzt hat diese Software mit nur einem Input-Channel von der FAA, der Bundesluftfahrtbehörde der Vereinigten Staaten eine Zulassung bekommen?

post_0752_america_first_2 Eine Boeing 737 MAX 7 mit den riesigen Triebwerksgondeln bei einem der ersten Climb Outs.
Quelle: https://boeing.mediaroom.com/image-gallery?cat=32
Auch beim Absturz der Ethiopian-Airlines-Maschine am letzten Sonntag scheint es sich grundsätzlich um ein Problem mit der Fluglagekontrolle zu handeln. Die Piloten meldeten nach unabhängigen Zeugenaussagen bereits kurz nach dem Start beim Initial Climb Probleme mit unzuverlässigen Geschwindigkeitsanzeigen und der Fluglagekontrolle. Ich möchte aber nicht spekulieren! Die weiteren Untersuchungen werden die Gründe sicher ans Licht bringen.

Heute nun die Reaktion der verantwortlichen Behörden, die ich mir schon früher gewünscht hätte. Zunächst sperrten nur einzelne Länder wie die Bundesrepublik Deutschland ihren Luftraum für Flugzeuge der Boeing 737-MAX-Familie. Gegen Abend reagierte dann auch die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) und sperrte den europäischen Luftraum für diese Flugzeuge.

Und dann passierte das, was mich wirklich auf die Palme bringt und mich endgültig den Glauben an die US-Amerikaner verlieren lässt. Die FAA, die Bundesluftfahrtbehörde der Vereinigten Staaten erklärte die betroffene Flugzeugfamilie als flugsicher! What??

Weitere Aussagen aus den USA haben bei mir dann endgültig das Faß zum Überlaufen gebracht und mich zum Schreiben dieses Posts animiert. Die Europäer machen aus dem wiederholten Absturz einer Boeing 737 MAX 8 nun zu Gunsten von Airbus ein Politikum und es würden nur wirtschaftliche Gedanken hinter den Flugverboten steckten. Mal ganz ehrlich: Haben die noch alle Latten am Zaun?

Ein paar asiatische Staaten wie China und Vietnam hatten bereits vor den Europäern Flugverbote ausgesprochen. Im Laufe des Tages kamen auch Australien und Singapur dazu. Wie erklärt ihr völlig von Fake News verblendeten Amerikaner das? Wer schützt hier die eigene Wirtschaft? Unglaublich, fast 350 Menschenleben ausgelöscht aber Hauptsache America first!

Menschliches Versagen passiert und das nicht nur im Cockpit. Auch Ingenieure machen Fehler. So sagte beispielsweise ein ranghoher Mitarbeiter von Airbus, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis etwas übersehen werde und dabei nahm er den eigenen Arbeitgeber nicht aus.

Was ich an den Vorgängen bzgl. der Boeing 737 MAX-Familie nur so skandalös finde, ist die Tatsache, dass Boeing anscheinend auch 5 Monate nach dem ersten nachweislich mit dem MCAS-System im Zusammenhang stehenden Totalverlust einer nagelneuen Maschine kein Software-Update oder andere Maßnahmen zur Lösung des Problems auf die bisher ausgelieferten Maschinen ausgerollt hat!

Ich bin gespannt, ob sich die 737-MAX-Familie von diesen Vorfällen und Anschuldigungen erholen wird. Vor allem hoffe ich aber, dass in den USA und den anderen Ländern, die noch kein Flugverbot ausgesprochen haben, nicht noch ein solcher Vogel vom Himmel fällt, bis Boeing das System korrigiert hat und es zusammen mit den betroffenen Airlines bei den Piloten ins Bewusstsein geholt hat. Für die Korrektur hat die FAA, ihrerseits nun ob dieser kaum nachzuvollziehenden Flugsicherheitsentscheidung extrem unter Druck stehend, Boeing am Abend noch bis Ende April Zeit gegeben...
Kommentar der Redaktion:

Einen Tag nach der Veröffentlichung meines Posts ist mir bekannt geworden, dass die FAA, die Bundesluftfahrtbehörde der Vereinigten Staaten, sowohl für die Flugsicherheit als auch für die Förderung der Luftfahrtwirtschaft verantwortlich ist. Ein Gewissenskonflikt, der angesichts der klaren Ausrichtung America first dann auch die oben aufgeführte Aussage zur Flugsicherheit des betroffenen Luftfahrzeugtyps absolut nachvollziehbar macht. Das heißt aus meiner Sicht aber nicht, dass die Aussage zutrifft und ich finde diese, so die geäußerten Vermutungen denn stimmen, moralisch mehr als verwerflich!

Zum Glück mehrte sich auch in den USA die Kritik an der weiterhin bestehenden Flugerlaubnis für die Boeing 737 MAX-Familie und das Parteien-übergreifend! Heute Abend wurde dann auch bekannt, dass nun der US-Präsident ein Flugverbot für die USA angeordnet habe. Eine weitere Niederlage für Donnie!


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Über mich
Ich bin ein liebevoller Vater, Candourist, Stoiker, Agilist, Product Owner, Hauptmann der Reserve, Diplom-Kaufmann und ausgebilderter Verkehrspilot (ATPL-Credit).
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